Die Spur des Schreckens

Ein Film von Edward Yang

Genre: Drama

 | Strömung: Neues Taiwanisches Kino

 | Erscheinungsjahr: 1986

 | Jahrzehnt: 1980 - 1989

 | Produktionsland: Taiwan

 

In seinem dritten Film Die Spur des Schreckens entwirft Drehbuchautor und Regisseur Edward Yang eine postmoderne Versuchsanordnung, die Reminiszenzen an das Schaffen von Michelangelo Antonioni weckt. Sein episodenhaft aufgebauter, aber in sich geschlossener Film besticht durch eine subtile Kunstfertigkeit.

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Filmkritik:

Eine Schießerei fungiert als Urknall für die Handlung, die in vier Erzählstränge gegliedert ist. Die Spur des Schreckens begleitet das Dahintreiben eines jungen Mannes und einer jungen Frau durch Taipeh, das Karrierestreben eines Arztes und die Midlife-Crisis seiner Frau.

Edward Yang ordnet das Geschehen episodenhaft an und inszeniert es mit einer irritierenden Beiläufigkeit. Die Szenen der Protagonisten laufen wie zufällig nebeneinander her und bleiben im Alltäglichen verhaftet, der Tonfall schwankt zwischen Lakonie und Desinteresse. Dieser Eindruck entsteht durch eine reduzierte Inszenierung: Die passive Kamera, eine niedrige Schnittfrequenz und der Verzicht auf eine musikalische Untermalung muten semidokumentarisch an.

Der implizierte Realismus dieser unsichtbaren Regie ist jedoch trügerisch: Mit fortlaufender Spielzeit ergeben die vielen für sich unbedeutenden Puzzleteile ein größeres Bild. Eine unbewusste Wechselwirkung zwischen den Protagonisten nimmt Konturen an und lädt die vermeintlichen Alltagsszenen mit Bedeutung auf.

Je länger wir die feinen Fäden zwischen den Figuren betrachten, desto weniger zufällig wirkt das Geschehen. Die Collage flüchtiger Zustände lässt sich nicht länger als willkürlich abstempeln, sondern verkettet sich zu einem festen Gebilde – die episodenhafte Handlung ergibt eine geschlossene Form. Das schicksalhafte Finale stellt zuletzt gar das ganze Konzept einer Alltags-Realität infrage, der Realismus erscheint regelrecht unnatürlich.

Die lose Narration unterstreicht auch die Bindungslosigkeit der Bewohner Taipehs; Die Spur des Schreckens erzählt von Isolation und Entfremdung. Ein Thema, das im Kino Taiwans noch öfter aufkommen würde: Besonders Tsai Ming-liang führte Yangs Sicht auf die Hauptstadt in mehreren Filmen fort, etwa in der bemerkenswerten Einsamkeitsstudie Vive l’Amour.

Yang selbst dürfte sich hingegen an Michelangelo Antonioni orientiert haben, dessen kunstvolle Dramen aus den Sechziger Jahren die filmische Ausgestaltung des modernen, entfremdeten Menschen prägten. In Werken wie Die Nacht und Liebe 1962 erzeugt der italienische Regisseur visuelle Divergenzen zwischen seinen Protagonisten und der urbanen Architektur um sie herum. Die abweisenden Betonklötzer und das erkaltete Innenleben der Figuren ergeben zwei Seiten einer Medaille.

Der distanzierte Blick auf den Mensch inmitten urbaner Architektur ist auch in Die Spur des Schreckens zu finden, allerdings ersetzt Yang die kunstvollen Bildkompositionen Antonionis durch eine schmucklose Objektivität. Wir erleben die Filmwelt als Oberfläche, wie durch das Objektiv einer Überwachungskamera betrachtet. Menschen, Straßen, Räume – alles wird aufs Äußere reduziert und austauschbar gehalten.

Doch was bleibt uns noch, wenn nichts mehr eine Bedeutung hat und wir einander nicht mehr verbunden fühlen? Die Figuren des Films schlagen verschiedene Richtungen ein: Der junge Fotograf versteigt sich in eine Wunschvorstellung, die in sich zusammenfällt; der Ehemann klammert sich an den Materialismus und muss sich dessen Leere eingestehen; seine Frau zieht einen Schlussstrich und wagt einen Neuanfang, der geradewegs zurück in den Ausgangszustand führen dürfte.

Edward Yang unprätentiöse und zugleich meisterhafte Inszenierung durchdringt das Szenario und die Figuren ohne viele Worte. In dieser Klarheit liegt vielleicht die beunruhigendste Facette von Die Spur des Schreckens – wir können auch heute noch problemlos an diese Vision vom Taipeh des Jahres 1986 anknüpfen, weil sich wenig geändert hat.

★★★★★☆

1980 – 1989

Nach zwei Jahrzehnten, die sich zunehmend auf anspruchsvolle Werke fokussierten, fand in den Achtziger Jahren ein Umschwung statt. Genrefilme erlebten ein Comeback und Hollywood setzte zunehmend auf aufwendige Blockbuster. Das Unterhaltungskino begann, die Kinolandschaft zu dominieren.

Neues Taiwanisches Kino

Mit dem Anbruch einer liberalen Politik zu Beginn der Achtziger Jahre konnte sich in Taiwan ein neues Kino entfalten. Junge, von der Historie des Landes unbelastete Filmschaffende drehten politische und gesellschaftskritische Filme, in denen sie eine Bestandsaufnahme des modernen Taiwans und seiner nationalen Identität vornahmen. Die Filme der Strömung sind komplex, aber subtil – sie fußen auf einer erzählerischen Reduktion und heimsen regelmäßig Preise der wichtigen Filmfestivals ein.