Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss

Ein Film von Sydney Pollack

Genre: Drama

 | Strömung: New Hollywood

 | Erscheinungsjahr: 1969

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: USA

 

Mit dem neunfach Oscar-nominierten New Hollywood-Drama Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss drehte Sydney Pollack eine bissige Abrechnung mit der sensationsheischenden amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Zwar basiert der Film auf dem 1935 erschienenen Roman Ums nackte Leben und spielt wie dieser in der Zeit der großen Depression, Pollacks Umsetzung erweist sich jedoch als zeitlos und wirkt heute als Parabel aktueller denn je.

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Filmkritik:

Wochenlang bewegen sich die Teilnehmer des Tanzmarathons unter den Augen des Publikums, um mehrere warme Mahlzeiten zu erhalten und die Chance auf das Preisgeld für das letzte noch stehende Paar. Pollack inszeniert das Geschehen als Kammerspiel, das ausschließlich in der Veranstaltungshalle stattfindet.

Dabei gelingt es dem Film, die Isolation der Teilnehmer auch auf uns Zuschauer zu übertragen – nach dem ersten Tag verschwimmt die Zeitebene des Films zusehends. Wie viele Tage der Wettbewerb schon läuft, bleibt über weite Strecken ebenso im Dunkeln wie die Frage, ob es helllichter Tag oder mitten in der Nacht ist. Das diffuse Bühnenlicht filtert sämtliche äußeren Einflüsse und schafft ein Vakuum, in dem die Protagonisten sich zunehmend mühsamer dahinschleppen.

Wie verheerend sich der anfangs noch launige Wettbewerb auf die Teilnehmer auswirkt, macht der Werdegang der jungen Alice deutlich, die eine Karriere als Schauspielerin anstrebt und sich mit ihrem teuren Kleid deutlich von den anderen mittellosen Tänzern unterscheidet.

Gleicht sie in Aussehen und Auftreten zunächst noch dem damaligen Sexsymbol Jean Harlow, gerät ihre platinblonde Frisur im weiteren Verlauf in Unordnung, ihr Kleid geht verloren und ihr selbstsicheres Auftreten verkommt zur Parodie, die ins Tragische kippt. Während der Tanzpausen wirft sie sich letztlich – zunehmend geistig umnachtet – an den Hals mehrerer Männer, um sich illusorisch der eigenen Attraktivität zu versichern.

Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss entlarvt die Entmenschlichung der Tänzer als System mit Methode. Zur Unterhaltung des zahlenden Publikums höhlen die Veranstalter die Teilnehmer aus und zerren sie ins Rampenlicht, wo sie zu bisweilen sarkastischer Schunkelmusik tanzen. Songtitel wie The best things in life are free oder Brother, can you spare a dime? erinnern die ausgezerrten Protagonisten daran, wieder hinaus in die Welt ohne Mahlzeiten zu müssen, wenn sie dieses „Spiel“ nicht mehr mitspielen und aufgeben sollten.

Pollack tappt allerdings nicht in die eigene Falle: Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss gelingt es, seine Akteure eben nicht auszustellen, sondern sie von innen heraus zu beobachten. Auch dank der hervorragenden Figurenzeichnung und der aussagekräftigen Dialoge bleiben sie zu jedem Zeitpunkt menschlich und binden unsere Empathie.

Jane Fonda als toughe Gloria spielt ausgezeichnet, die Nebendarsteller liefern ebenfalls allesamt gute Leistungen ab. Die dichte Atmosphäre und die kraftvolle Inszenierung zählen ebenfalls zu den Stärken des Films. Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss gehört zu den Highlights des New Hollywood-Kinos.

★★★★★☆

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

New Hollywood

Mitte der Sechziger Jahre gelangte das traditionelle Hollywood-Kino an einen kreativen Nullpunkt, der eine neue Strömung ermöglichte. Das New Hollywood legte die kreative Kontrolle der Produzenten in die Hände junger Regisseure, die so unkonventionelle Filme drehen konnten. Gesellschaftskritische Werke mit Außenseitern als Protagonisten sorgten für die Wiederbelebung des amerikanischen Kinos.