Der Nachtportier

Ein Film von Liliana Cavani

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1974

 | Jahrzehnt: 1970 - 1979

 | Produktionsland: Italien

 

Der Nachtportier zählt zu den skandalträchtigsten Werken der Siebziger Jahre. Dabei richtet sich der Film von Liliana Cavani im Gegensatz zu zahlreichen Epigonen nicht primär auf kontroverse Elemente aus; tatsächlich nähert er sich seinem abseitigen Thema sogar auf erwachsene Weise.

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Filmkritik:

Cavani beschreibt eine sadomasochistische Liebesbeziehung zwischen einem Nazi und einer Jüdin, die in einem KZ ihren Anfang nahm und Jahre später bei einem zufälligen Wiedersehen neu entflammt. Die Regisseurin erforscht mit ihrem Film den Gefühlstaumel der Protagonisten und ihre widersprüchliche Verbindung.

Menschliche Beziehungen im Allgemeinen und die Liebe im Besonderen lassen sich nie so ganz erklären. Sie laufen unterbewusst ab: Auf soziologischen, psychologischen und biologischen Mikroebenen, die uns selbst verborgen bleiben. Vielleicht besitzen etwa romantische Komödien deshalb einen so schlechten Ruf: Sie reduzieren das Mysterium der Liebe auf die bloße Oberfläche, auf Klischees und Erklärbares.

Als deutlich faszinierender erweisen sich jene Werke, die das – für die Figuren und uns Zuschauer – Unerklärliche betonen. In Filmen wie Intentions of Murder und Eyes Wide Shut, Crash und Der seidene Faden lassen sich die Irrungen und Wirrungen der Liebe nicht greifen, weshalb die Beziehungen der Protagonisten so spannend zu beobachten sind.

In diese Kategorie fällt auch Liliana Cavanis Der Nachtportier. Die Regisseurin tut gut daran, die KZ-Vergangenheit der beiden Protagonisten nur in kurzen Rückblenden anzureißen und die Lücken unserer Fantasie zu überlassen. Insbesondere die offene Frage, wie viel Machtmissbrauch und Gewalt die beiden überhaupt zusammenbrachte, hält die Figuren ambivalent.

So entstehen Szenen, in denen sie sich selbst nicht im Klaren über ihr Innenleben sind. Symptomatisch dafür ist der erste gemeinsame Moment nach Jahren der Trennung: Er startet mit Schreien und Schlägen und endet in ungläubigem Lächeln und forschender Zärtlichkeit. Die Protagonisten nehmen ihre widersprüchlichen Gefühle hin und der Film tut es auch, ohne all das erklären oder psychologisieren zu müssen oder gar die Moralkeule zu schwingen.

Leider nutzt Der Nachtportier seine Spielzeit zu selten dafür, dieses seltsame Miteinander zu erforschen, wie es etwa Bernardo Bertoluccis Skandalfilm Der letzte Tango in Paris deutlich konsequenter tut. Cavani nutzt die Beziehung nur als Aufhänger für eine oberflächliche Rahmenhandlung über untergetauchte Nazis, die Mitwisser zum Schweigen bringen wollen.

In der zweiten Filmhälfte konzentriert sich Der Nachtportier zunehmend auf diese äußere Bedrohung und steigert die Situation der Protagonisten zu einem bizarren Belagerungsszenario. Darin mag sich die KZ-Vergangenheit der beiden spiegeln, es dominiert jedoch ein inhaltlich wenig ergiebiger, quälend langsam inszenierter Stillstand.

Der stagnierenden Entwicklung zum Trotz können wir uns immerhin an zwei starken Darstellern erfreuen. Dirk Bogarde, der immer dann am besten ist, wenn er in sich gekehrte Figuren spielt (Der Teufelskreis, Tod in Venedig, Der Diener), lässt uns tief in seinen getriebenen Protagonisten blicken. Charlotte Rampling gelang mit Der Nachtportier der endgültige Durchbruch; mit ihrer kühlen Ausstrahlung verleiht sie ihrer traumatisierten Figur ein trotziges Selbstbewusstsein.

Die beiden Darsteller traten bereits in Luchino Viscontis Demystifikation des Faschismus, Die Verdammten, gemeinsam auf. Viscontis Werk bildet zusammen mit Die 120 Tage von Sodom und Der Nachtportier eine lose Trilogie, die ein Spannungsfeld zwischen Faschismus und Sexualität eröffnet. Auf diese künstlerisch seriösen, aber kontroversen Versuche folgte eine Flut billig produzierter Epigonen, die sich dem Themengebiet auf zweifelhafte Weise (Salon Kitty) oder – als Naziploitationfilme wie Ilsa, She Wolf of the SS – offen ausbeuterisch näherten.

★★★☆☆☆

1970 – 1979

Die durch die neuen Wellen der Sechziger Jahre eingeleiteten Veränderungen nahmen auch in den Siebzigern Einfluss. In den USA entstand das New Hollywood und in Europa u.a. der Neue Deutsche Film. Erstmals kumulierten hohe Studiobudgets und die Kreativität junger Regisseure. Gegen Ende der Siebziger sorgte eine neue Entwicklung für die Wende: Die ersten Blockbuster erschienen und etablierten das Konzept marketinginduzierter Kino-Franchises.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.