Der Teufel mit der weißen Weste

Ein Film von Jean-Pierre Melville

Genre: Kriminalfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 1962

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Frankreich

 

Der Teufel mit der weißen Weste zählt zu den Referenzwerken des Gangsterfilms. Das Meisterwerk von Jean-Pierre Melville imponiert mit einer komplexen Handlung, visueller Brillanz und einer großen Portion Fatalismus.

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Filmkritik:

Der Teufel mit der weißen Weste beobachtet die kippende Freundschaft zweier Gangster: Kaum aus dem Gefängnis entlassen, plant der Berufsverbrecher Faugel schon den nächsten Coup. Die Ausrüstung besorgt er sich bei seinem Freund Silien, obwohl immer wieder Gerüchte aufkommen, dieser sei inzwischen ein Tippgeber der Polizei. Als der Raubzug schiefgeht, muss Faugel einsehen, dass er verraten wurde. Nun sinnt er auf Rache an Silien.

Jean-Pierre Melville ist der Göttervater des Gangsterfilms. Seine pessimistischen Krimis kombinieren die Tragik von Shakespeare und die Form des Film Noir. Binnen vier Jahren (1966 – 1970) drehte der Autorenfilmer vier Meisterwerke. Der Teufel mit der weißen Weste entstand einige Jahre vor dieser Hochphase und ist deutlich weniger populär als Der eiskalte Engel oder Vier im roten Kreis – zu Unrecht, denn es handelt sich um Melvilles beste Arbeit.

Gangster haben bei Melville einen schweren Stand. Keiner seiner Filme kommt ohne Kollateralschäden aus; oft handeln sie gar nicht von der Frage ob, sondern wie die Antihelden scheitern. Klassiker wie Der zweite Atem zelebrieren den Niedergang ihrer Protagonisten über zweieinhalb Stunden und gewinnen ihre Tragik aus der Tatsache, dass wir das fatale Finale aufgrund einer allwissenden Perspektive schon lange vorher absehen können.

Der Teufel mit der weißen Weste bricht mit diesem Schema. Melville entwirft ein (108 Minuten kurzes) Vexierspiel, das uns jede Übersicht verweigert. Schon die ersten Szenen reißen uns den Boden unter den Füßen weg: Da begegnen sich zwei Gangster, die offensichtlich Komplizen sind und sich – wie alte Freunde – minutenlang unterhalten. Dann erschießt einer den anderen – ansatzlos, kaltblütig. Der Mörder entpuppt sich als Faugel, die Hauptfigur des Films.

Die zweite Hauptfigur führt Melville auf dieselbe Weise ein: Der von Jean-Paul Belmondo gespielte Silien besucht Faugels Freundin, flirtet kurz mit ihr – und schlägt sie aus heiterem Himmel zusammen, fesselt sie an die Heizung und presst ihr Informationen zum bevorstehenden Raubzug seines vermeintlichen Freundes ab.

Mit solchen Momenten nimmt uns Melville den moralischen Kompass: Da wir die Protagonisten nicht in Gut und Böse einordnen können, entwickelt sich Der Teufel mit der weißen Weste zu einem enorm ambivalenten Filmerlebnis. Bis zum Ende ist es unmöglich, das Handeln der Figuren und die Richtungsänderungen des Plots einzuordnen. Der Regisseur und Drehbuchautor zwingt uns so in die Perspektive der Protagonisten: Er konfrontiert uns mit vollkommener Unsicherheit; um das Geschehen zu reflektieren, müssen wir uns auf unseren Instinkt verlassen.

Daher mutet Der Teufel mit der weißen Weste wie Melvilles brutalster Film an. Harte Gewalt findet in den meisten Werken des Regisseurs Anwendung, doch die Protagonisten sind Profis, deren Gewalt immer auf einer logischen Notwendigkeit fußt und präzise kalkuliert ist. Der Teufel mit der weißen Weste enthält uns diese rationale Komponente vor, was den Morden eine drastische Wirkung verleiht.

In Melvilles Filmen handeln die Gangster immer nach einem Kodex. Nicht die Gier nach Millionen, sondern Berufsehre, Moral und das Gesetz der Diebe eint die Kriminellen. Dieses Wertesystem bricht in Der Teufel mit der weißen Weste zusammen. Siliens Verrat verseucht die Gemeinschaft der Unterweltler, Misstrauen und Rachsucht dominieren.

Die Perspektivverschiebungen der Geschichte inspirierten zahlreiche Filmemacher. Quentin Tarantino bezeichnete das Skript als sein Lieblingsdrehbuch und arbeitete Facetten davon in Reservoir Dogs und Pulp Fiction ein. Auch die Coen-Brüder huldigten dem Film: Wenn der Hut des Protagonisten in Miller’s Crossing ein Eigenleben entwickelt, verweist das direkt auf die Schlusseinstellung von Der Teufel mit der weißen Weste und dessen Originaltitel Les Doulos, was gleichermaßen „Hut“ und „Spitzel“ heißen kann.

Wie gewohnt übersetzt der Regisseur den Pessimismus des Plots in imposante Bilder. Schon der Auftakt gefällt mit einer langen Plansequenz und schickt einen Gangster durch eine schwarz-weiße Industrie-Ödnis, die problemlos in David Lynchs Eraserhead auftauchen könnte. Die bleierne Stimmung des Films spiegelt sich auch im reduzierten Spiel der Darsteller wider. Jean-Paul Belmondo und der zerknitterte Serge Reggiani glänzen durch Subtilität.

Die durchgängige Spannung findet in der Schlussviertelstunde ihren Höhepunkt und mündet in einem shakespeareschen Finale. Die divergenten Innenansichten der Gangster kulminieren und liefern die langersehnten Erklärungen. Doch die Katharsis führt geradewegs in den Untergang: Wie immer bei Melville müssen die Protagonisten die Konsequenzen ihrer Taten tragen. Ein schmutziger Beruf erlaubt keine weißen Westen.

★★★★★★

Jean-Pierre Melville

Jean-Pierre Melville zählt zu den wichtigsten europäischen Autorenfilmern. Um seine Eigensinnigkeit ausleben zu können, produzierte er seine Filme selbst, schrieb Drehbücher und führte Regie. Melvilles Kriminalfilme bestechen durch ihren fatalistischen Tonfall und ihren ausgeprägten Hang zur Coolness. Die unterkühlten Darsteller und die akribisch durchkomponierten Bilder tragen erheblich dazu bei.

Kriminalfilm

Der Kriminalfilm zählt aufgrund unterschiedlichster Ausprägungen zu den breitesten Genres. Die sogenannten Whodunits beschäftigen sich mit der Täterfindung in einem einzelnen Fall; ebenso zählen die fatalistischen Detektivgeschichten des Film Noir zum Genre. Nicht zu vergessen sind Werke aus der gegensätzlichen Perspektive: Die Heist- und Gangsterfilme machen einen wesentlichen Teil des Krimigenres aus.