Personal Shopper

Ein Film von Olivier Assayas

Genre: DramaHorrorfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 2016

 | Jahrzehnt: 2010 - 2019

 | Produktionsland: Frankreich

 

Mit Personal Shopper drehte Olivier Assayas ein Werk, an dem Genrezuweisungen abprallen. Der Terminus „Geisterfilm“ beschreibt nur unzureichend, wie der Regisseur zwischen Horrorfilm, Psychothriller und Coming-Of-Age-Film changiert. Aufgrund des ambivalenten Stils bleibt Personal Shopper bis zum Ende zweideutig.

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Filmkritik:

2016 sorgte Assayas‘ Werk beim Filmfestival in Cannes für zwiespältige Reaktionen und gewann dennoch den Preis für die beste Regie. Wie schon ein Jahr zuvor in Die Wolken von Sils Maria arbeitete der französische Regisseur mit Kristen Stewart zusammen, die erneut die Angestellte eines Stars spielt.

Stewarts Figur Maureen betätigt sich als persönliche Modeeinkäuferin für das Supermodel Kyra. In Paris, Mailand und London besorgt sie ihrer Chefin die neueste Haute Couture. Doch darum geht es in Personal Shopper nur am Rande, denn Maureens Leben liegt in Trümmern.

Der Film setzt kurz nach dem Tod von Maureens Zwillingsbruder Lewis ein, der an einem Herzfehler verstarb. Die innige Verbindung der beiden Zwillinge äußerte sich durch eine besondere Feinfühligkeit – beide glaubten, als Medien empfänglich für paranormale Schwingungen zu sein.

Lewis gab seiner Schwester ein Versprechen: Nach seinem Tod wolle er ihr ein Zeichen aus dem Jenseits schicken. Seit drei Monaten wartet Maureen nun und gibt die Hoffnung auf einen Kontakt langsam auf.

Personal Shopper zeichnet ein niemals vordergründiges und trotzdem einfühlsames Porträt der jungen Frau im hilflosen Schwebezustand. Maureen ist eine Gefangene des Versprechens ihres Bruders – so lange sein Zeichen ausbleibt, ist sie nicht frei. Ziellos treibt sie durch ihren Alltag; ein blasser Schatten, ein Geist.

Von einem Trübsinnsdrama ist Personal Shopper dennoch weit entfernt. Olivier Assayas thematisiert zwar Trauer und Orientierungslosigkeit, würzt das Geschehen aber mit Elementen des Genrefilms. Indem uns der Regisseur schon zu Beginn mit zwei Spukhaussequenzen konfrontiert, verspricht er uns, dass hier mehr vorgeht, als der erste Anschein andeutet. Daraus resultiert eine untergründige Spannung, die den gesamten Film über nicht mehr nachlässt.

Dass der Film noch im ersten Drittel tatsächlich einen computeranimierten Geist zeigt, anstatt es bei Andeutungen zu belassen, zählt zu den wenigen Makeln von Personal Shopper. Einer Einstufung als Fantasyfilm verweigert sich Assayas‘ Arbeit dennoch, weil der Regisseur sein Werk felsenfest in der Realität verankert.

Die Geschichte mag zwar (auch) von Geistern handeln, die paranormalen Einschübe stellen jedoch nur einen Teil einer Gleichung dar, die noch viele weitere unbekannte Variablen beinhaltet.

Ein Beispiel für die inhaltliche Vielschichtigkeit liefert Assayas‘ Umgang mit dem Thema Kommunikation. Einerseits nutzt er sie als Genrebestandteil: Wie im Horrorfilm nimmt Maureen Kontakt zu Geistern auf; wie in einem Psychothriller wechselt sie Textnachrichten mit einem latent bedrohlichen Unbekannten, der sie zu manipulieren versteht.

Andererseits geht der Regisseur über die Funktionsebene hinaus. Wir sehen auch, wie Maureen per Videotelefonie mit ihrem im Sultanat Oman weilenden Freund spricht und versucht, eine mutmaßlich schon lange gescheiterte Beziehung am Leben zu halten. Der Umgang mit ihrer Chefin Kyra verläuft ebenfalls unpersönlich. Da das Supermodel beinahe nie zu sehen ist, funktioniert auch diese Kommunikation über Handy und schriftliche Notizen.

Damit fühlt Personal Shopper unserer perfekt vernetzten Welt auf den Zahn und sieht die moderne Kommunikation kritisch – die digitalen und telefonischen Gespräche bleiben oberflächlich und ziellos. Die wenigen persönlichen Treffen des Films verlaufen hingegen deutlich wärmer und lebendiger.

Der Film liefert viel Material für derartige Subtexte. Personal Shopper schneidet spirituelle Themen an, verweist auf die Künstlerin Hilma af Klint, zeigt die Trauerarbeit Maureens und durchbricht das Geschehen immer wieder mit Genrefilmeinschüben, deren potenzielle Bedrohung für Spannung sorgen.

Das Erwachsenwerden der jungen Frau erhält ebenfalls Raum und manifestiert sich im Brechen von Kyras Verboten. Erst im Kleinen, als Maureen sich am Kühlschrank des Supermodels bedient, dann im Großen, wenn sie Kyras Designerkleidung anzieht und schließlich sogar mit einem sexuellen Akt die Wohnung ihrer Chefin in Besitz nimmt.

Nach herkömmlichen Maßstäben bearbeitet Personal Shopper zu viele Motive und Genrebestandteile. Doch Assayas gelingt das Kunststück, die vielen Teilstücke kohärent zusammenzufügen. Das bedeutet aber nicht, dass der Film am Ende ein vollkommen homogenes Bild abgibt – gerade die Im­per­fek­ti­on macht den Reiz aus. Die Andeutungen und Leerstellen ermöglichen es uns, eigene Schwerpunkte zu finden.

Das fordert auch heraus, weil Personal Shopper kein Interesse daran hat, seinen Inhalt fein säuberlich anzuordnen und Rückschlüsse auf einem Silbertablett zu servieren. Heutzutage eine Seltenheit – es ist immer wieder angenehm, wenn ein Regisseur Vertrauen in sein Publikum setzt, anstatt uns wie Kinder zu bevormunden. Dementsprechend macht Personal Shopper einen erwachsenen Eindruck.

Mit Kristen Stewart plante der Regisseur schon während der Drehbuchphase. Die junge Schauspielerin liefert die reifste Leistung ihrer Karriere ab und spiegelt das Wesen des Films. Stewart spielt unaufdringlich, lässt Raum zur Interpretation und variiert nur in Details. Obwohl ihre Maureen wenig von sich preisgibt, bleibt sie dank Stewarts Nuancen eine durchgehend spannende Figur.

Personal Shopper steht für mich in einer Reihe von Klassikern wie Michelangelo Antonionis Beruf: Reporter oder Jacques Rivettes Paris gehört uns – Olivier Assayas legt die Folie des Genrekino über einen typischen Autorenfilm. Die Kombination ergibt ein grandioses Werk des europäischen Arthousekinos.

★★★★★☆

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.