Onibaba – Die Töterinnen

Ein Film von Kaneto Shindô

Genre: Horrorfilm

 | Strömung: Japanische Neue Welle

 | Erscheinungsjahr: 1964

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Japan

 

Kaneto Shindôs Meisterwerk Onibaba ist Horror- und Historienfilm, Melodram und Antikriegsparabel in einem. Die facettenreiche Handlung des japanischen Klassikers fährt Samurai, Dämonen und Erotik auf, um letztlich über das Wesen der Menschen zu berichten. Der hohe Symbolgehalt und die betörenden Bilder regen die Fantasie zusätzlich an.

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Filmkritik:

Onibaba basiert auf einer buddhistischen Sage und spielt im feudalen Japan, das vom Bürgerkrieg erschüttert wird. Die Machtkämpfe der Fürsten treffen die arme Bevölkerung am härtesten – die Männer werden eingezogen, die Nahrung konfisziert.

Für die beiden Protagonistinnen – eine junge Frau und ihre ältere Schwiegermutter – gleicht jeder Tag einem Überlebenskampf. Die beiden leben inmitten eines Meeres aus Schilf und lauern dort verwundeten Samurai und Deserteuren auf. Sie ermorden die arglosen Männer und tauschen deren Ausrüstung gegen den dringend benötigten Reis.

Die Situation verändert sich, als der frühere Nachbar der Frauen aus dem Krieg zurückkehrt. Einerseits begegnen sie dem verschlagenen Mann mit Misstrauen, andererseits könnte die Hilfe des ehemaligen Soldaten ihr Überleben sichern. In diesen Zwiespalt mischt sich ein weiterer Faktor, als beide Frauen ein längst vergessen geglaubtes Begehren verspüren.

Dadurch verschieben sich die Verhältnisse – statt den Zusammenhalt der Zweckgemeinschaft gegen die äußeren Gefahren zu stärken, entstehen durch das Auftauchen des Mannes nun auch innerhalb der Gruppe Konflikte.

An dieser Stelle verstrickt Onibaba seine Figuren in einen Strudel aus Macht, Gier, Sünde und Schuld. Die alte Frau droht ihrer Untergebenen Höllenqualen im Jenseits an, doch das ändert nichts daran, dass sich die junge Frau nach dem neuen Mann verzehrt, ihre Schwiegermutter und ihren mutmaßlich toten Ehemann betrügt.

Allerdings wirft der Film seinen Figuren den Rückfall auf animalische Grundlagen – Überleben, Nahrungsbeschaffung, Sex – nicht vor, sondern zeichnet sie als Produkt des Krieges, der ihnen erst ihren Besitz und dann ihre Menschlichkeit genommen hat.

Die direkten Auswirkungen des Krieges fängt vor allem die erste Hälfte ein. In ruhigem Tempo trägt Shindô einen unbarmherzigen Existenzialismus vor, der zwischen Antikriegsfilm und Melodram changiert. Im weiteren Verlauf bestraft die alte Frau ihre untreue Schwiegertochter: Sie hetzt ihr einen Dämon auf den Hals, was Onibaba um Elemente des Horrorfilms anreichert.

Dabei stellt der Film zahlreiche Kontraste heraus, paart brutale Gewalt mit sinnlicher Erotik und schöne Landschaftsbilder mit bedeutungsschwangerem Grauen. Shindôs Werk lebt ohnehin von seinen Gegensätzen, die beständig miteinander ringen: Das karge Leben am Tag gegenüber den lustvollen Eskapaden der Nacht, die körperliche Stärke der Männer und den unbändigen Willen der Frauen, die Interessen des Individuums im Zwiespalt mit denen des Kollektivs.

Dabei lädt sich der Film zunehmend metaphorisch auf und findet seinen Mittelpunkt in einem finsteren, metertiefen Loch, das sich inmitten der schilfartigen Susuki-Gräser öffnet. Hier entsorgen die Frauen die Leichen ihrer Opfer oder stoßen diese auch mal lebendig hinein.

Die schwarze Leere schreit geradezu danach, wahlweise als Hölle, weiblicher Schoß oder Personifizierung der Kriegsgräuel gelesen zu werden. Wer Siegmund Freud bemüht, findet hier das Zentrum des ohnehin vielseitig interpretierbaren Films. Ich musste auch an Friedrich Nietzsche denken: Die Figuren starren nicht nur in den Abgrund, sie steigen sogar hinab.

Trotz der schaurigen Stimmung versucht Onibaba gar nicht erst, den Erwartungen an einen Horrorfilm gerecht zu werden. Kaneto Shindô ist weder auf einen überbordenden Unterhaltungswert noch nervenzerfetzende Spannung aus, sondern gestaltet sein Werk als Parabel, die uns Zuschauen genügend Raum und Zeit zur Reflexion überlässt.

Obwohl keine Schlachten zu sehen sind, kann Onibaba in erster Linie als Auseinandersetzung mit dem Grauen des Krieges gelesen werden. Das kommt nicht von ungefähr, denn Shindô erlebte den Zweiten Weltkrieg aus erster Hand und sammelte dabei leidvolle Erfahrungen. 100 Soldaten umfasste die Einheit des Regisseurs, 94 davon kamen um.

Das unangenehme Finale spiegelt ein weiteres Trauma – wenn eine Maske fällt und ein entstelltes Gesicht preisgibt, weckt der Film Assoziationen an die Bilder der Hibakusha, der Opfer der amerikanischen Atombomben. Shindô wuchs selbst in Hiroshima auf und musste um seine Familie bangen, die im näheren Umkreis der Explosion wohnte und nur durch glückliche Umstände überlebte.

Das exzellente Handwerk des Regisseurs erhebt Onibaba endgültig zum Meisterwerk. Wie auch in seinem finsteren Horrormelodram Kuroneko setzt Shindô auf effektvolle Bildkompositionen mit hohem Schwarz-Anteil. Die harten Kontraste kommen durch die herausragende Lichtsetzung zur Geltung und vermitteln den Anschein einer apokalyptischen Welt.

Gleichzeitig findet der Filmemacher einmalige Landschaftsbilder, die durch den starken Score und den präsenten Einsatz von Naturgeräuschen untermalt werden. Wenn tausende Schilfpflanzen sanft im Wind wogen, lässt sich beinahe vergessen, dass sich zwischen ihnen ein teuflisches Loch und hitzige Sünden verbergen.

★★★★★★

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

Japanische Neue Welle

Als die französische Nouvelle Vague die Filmsprache veränderte, inspirierte sie auch die Regisseure im fernen Japan. Diese brachen nun ebenfalls mit traditioneller Inszenierung und altbackener Themenwahl. Es folgten Arbeiten unterschiedlichster Genres, die sich deutlich gesellschaftskritischer gaben und dazu einer modernen, manchmal sogar radikalen Inszenierung bedienten.