Die Karabinieri

Ein Film von Jean-Luc Godard

 | Strömung: Nouvelle Vague

 | Erscheinungsjahr: 1963

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Frankreich

 

Die Karabinieri zählt zu den unbekannteren Werken von Jean-Luc Godard, hat es jedoch in sich: Es ist der einzige Antikriegsfilm der Nouvelle Vague und verdeutlicht die Abkehr des Franzosen von seinem beschwingten Frühwerk. Mit diesem hat sein fünftes Werk nicht mehr viel gemein – ohne Selbstreferenzialität und Verspieltheit wagt sich Godard an eine totale Abstraktion seines Sujets.

Copyright

Filmkritik:

Wir erfahren weder, welche Länder sich bekriegen, noch die politischen oder gesellschaftlichen Hintergründe. Grob umrissen wird, dass es sich um einen dritten Weltkrieg handelt und es Millionen Tote gibt. Der Krieg selbst ist kaum zu sehen, Godards Low-Budget-Film nutzt einfachste Mittel: Statt Kriegsgerät und Explosionen, Menschenmassen und zerbombten Städte zu zeigen, besinnt sich Die Karabinieri auf schlichte Kulissen, rohe Schwarz-Weiß-Bilder und einige wenige Darsteller.

Gestützt wird der martialische Eindruck durch die Tonspur, die ohne großes Budget manipuliert werden kann und allgegenwärtiges Geschützdonnern und reihenweise Explosionen auffährt. Da im visuellen Bereich auch ständig Menschen erschossen, gejagt oder bedroht werden, erweckt die Welt in Godards Werk trotz der begrenzten Mittel einen gefährlichen, menschenfeindlichen Eindruck.

Doch Godard wäre nicht Godard, würde er einen konventionellen Antikriegsfilm drehen. Stattdessen entwickelt er Die Karabinieri wie eine Fabel, erzählt von zwei Tunichtguten, die in die Welt ausziehen, um sich persönlich zu bereichern und dabei keinerlei Moral oder Reflexion kennen. Hier kommt Godards cleverer Ansatz zum Tragen, wenn der abstrahierte Krieg komplett auf das episodenhafte Treiben (die Reihenfolge der Szenen ließe sich wahllos tauschen) der beiden Antihelden heruntergebrochen wird. Die Karabinieri zeigt kleine, vereinfachte Inseln des Konkreten in einem Meer aus Abstraktion.

Doch diese Vereinfachung stellt das Problem des Films dar – Godards Fabel ist eine für Kinder. Mit dem geistigen Niveau von 11-jährigen Jungs lässt er die beiden jungen Männer Krieg spielen und dabei unbekümmert an Erschießungen und Missbrauch teilnehmen. Sicherlich mit der Intention, den Kardinalsfehler des Genres, Krieg spannend und unterhaltsam zu zeigen, zu vermeiden, aber eben auch mit dem Nachteil, im weiteren Verlauf lächerlich zu wirken.

Die beiden Protagonisten verkommen leider zunehmend zu Kunstfiguren – Max und Moritz im Krieg, die am Ende ihre moralische Lektion erhalten. Letztlich erscheint Godards Konzept durchaus clever, die Umsetzung funktioniert jedoch nur mit der Würdigung der Theorie und dem Übersehen der praktischen Umsetzung. Wo Stanley Kubricks Dr. Seltsam den richtigen Punkt zwischen absurdem Humor und böser Satire trifft, verhebt sich Godard bei Die Karabinieri an der Überspitzung des Themas.

★★☆☆☆☆

Jean-Luc Godard

Mit seinem Debütfilm Außer Atem schrieb Jean-Luc Godard Kinogeschichte und setzte die Nouvelle Vague in Gang. Der ehemalige Filmkritiker prägte das Medium Film nachhaltig: Seine postmoderne Erzählweise und innovativen Inszenierungen, seine beißende Gesellschaftskritik und Essayfilme wurden bewundert, diskutiert und kopiert. Allein in den Sechziger Jahren drehte Godard 15 Werke, die inzwischen fest zum Kanon der Filmgeschichte gehören.

Nouvelle Vague

Die Nouvelle Vague wischte die altmodischen “Filme der Väter” beiseite und entwickelte das moderne Kino. Erstmals beschäftigten sich Filme selbstreferenziell mit sich selbst, anstatt lediglich Geschichten mit Bildern zu erzählen. Mit der Generalüberholung von Inszenierung, Schnitt und Erzählweise legte die Nouvelle Vague die Grundlagen unserer heutigen postmodernen Filme, Musikvideos und Werbespots.