Neu im Handel

Krieg und Frieden

Bildstörung stöbert erneut im reichhaltigen Fundus des sowjetischen Kinos: Nach Kin-Dza-Dza! und Komm und sieh widmet sich das Label Sergei Bondartschuks Krieg und Frieden und spendiert diesem Film der Superlative eine würdige Edition.

Die Rubrik Neu im Handel stellt ausgewählte Neuerscheinungen für das Heimkino vor. Kennzeichnung: Filmsucht.org erhält Rezensionsexemplare.

Der Film

Die Ära der napoleonischen Feldzüge kitzelt die Imaginationskraft der Filmschaffenden schon seit den Anfangstagen des Kinos und befeuert dabei regelmäßig einen gewissen Größenwahn. Legendär sind das Scheitern von Abel Gance (dem 1927 nach dem ersten von sechs geplanten Monumentalfilmen das Geld ausging) und Stanley Kubrick (der sein Herzensprojekt nicht umsetzen konnte, aber immerhin Barry Lyndon hervorbrachte).

Die napoleonische Ära lieferte auch Hollywood eine Gelegenheit, seine produktionstechnische Potenz unter Beweis zu stellen: 1956 adaptierte MGM Lew Tolstois Krieg und Frieden mit unzähligen Stars, darunter Henry Fonda und Audrey Hepburn.

Filmszene aus Krieg und Frieden

Dass ausgerechnet der kapitalistische Westen diesen ur-russischen Klassiker der Weltliteratur in Beschlag nahm (und sich dabei wie so oft mit der Oberfläche begnügte), stieß in der Sowjetunion auf Missbilligung. Das Staatsstudio Mosfilm erhielt den Auftrag, die Amerikaner mit einer überzeugenderen Adaption in die Schranken zu weisen.

Die Mammutaufgabe ging an den unerfahrenen, aber talentierten Regisseur Sergei Bondartschuk, der die nahezu unbegrenzten Finanzmittel gewinnbringend einsetzte und ein siebenstündiges Epos hervorbrachte. Dank der Überlänge bekommt das Drehbuch viel Raum, um Tolstois Vorlage detailgetreu nachzuzeichnen und das Figurenkonglomerat ausführlich zu ergründen.

Eine Tolstoi-Verfilmung mit einer Länge von 422 Minuten, das schreit geradezu nach schwerer Kost, doch man kann sich Krieg und Frieden bedenkenlos vorknöpfen. Einerseits ist Bondartschuks Werk auf vier Teile aufgeteilt und somit bequem an mehreren Abenden goutierbar, andererseits macht die überwältigende Inszenierung jede Minute zu einem Genuss.

Filmszene aus Krieg und Frieden

Dabei ist der Regisseur kein Prahlhans: Er begnügt sich nicht damit, die prächtigen Kulissen, Dekors und Kostüme vorzuzeigen und sein Budget auszustellen, sondern stellt die Produktionsmittel in den Dienst der Geschichte. Die vorzügliche Kameraarbeit erweist sich dabei als Schlüsselelement: Sie fängt die Größe des Films in langen, fließenden Einstellungen ein, um dann mitten ins Geschehen einzutauchen – unser Blick von außen löst sich im Erleben des Inneren auf.

Dieses Prinzip kommt beispielsweise in einer umwerfenden Ballszene zur Anwendung, die ihrem meistgerühmten Äquivalent aus Der Leopard mindestens ebenbürtig ist. Auch die Kriegsszenen erhalten durch die Kamera eine enorme Wirkung: Die Schlacht bei Borodino, die mit 12.000 Statisten und tonnenweise Schwarzpulver inszeniert wurde, erschlägt uns zunächst mit ihrer schieren Größe. Doch dann schwebt die Kamera mitten hinein ins Chaos, wodurch die Massenszenen an Individualität und Nähe gewinnen und eine apokalyptische Stimmung evozieren.

Die Veröffentlichung

Wie gewohnt kleidet Bildstörung die Edition in ein liebevolles Design und einen schönen Schuber. Enthalten sind zwei Blu-rays (oder drei DVDs) sowie eine zusätzliche DVD mit Bonusmaterial. Dazu kommt noch ein Booklet mit einem Essay der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Christine Engel.

Das restaurierte Bildmaterial sieht hervorragend aus; der kurze Trailer auf YouTube vermittelt einen guten Eindruck. Auf der Tonebene hat der Zuschauer die Wahl zwischen O-Ton mit deutschen Untertiteln oder der aufwendig restaurierten deutschen Synchronisation der DEFA.

Der Umfang des Bonusmaterials lässt ebenfalls keine Wünsche offen. Es enthält zwei zeitgenössische Making-ofs – ein deutsches (46 Minuten) und ein sowjetisches (31 Minuten). Letzteres ist besonders aufschlussreich und zeigt den gigantischen Aufwand und die geniale Kameraarbeit bei den Aufnahmen der Schlacht von Borodino.

Außerdem enthält die Edition noch eine 100-minütige Doku über Sergei Bondartschuk (leider in mauer Bildqualität), zwei Interviews mit Kameramann Anatoli Petrizki und Darsteller Wassili Lanowoi (zusammen 34 Minuten) sowie zwei Porträts zu Sergei Bondartschuk (14 Minuten) und Lew Tolstoi (22 Minuten).

Mit diesem Highlight für das Heimkino bietet Bildstörung eine wunderbare Option für die Weihnachtsfeiertage – wer eine umfangreiche Geschichte mit epischen Schlachten erleben will, bekommt mit Krieg und Frieden eine spannende Alternative zum obligatorischen Herr der Ringe-Marathon.

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