Das Neue Taiwanische Kino

Ein Überblick über die Strömung, die nach einem nationalen Charakter suchte

Einführung

Zu Beginn der Achtziger Jahre bracht in Taiwan eine liberale Ära an, die auch für eine neue Filmkultur sorgte – der Staat förderte das nationale Kino, um ein Gegengewicht gegen die Filme aus China und Hongkong zu schaffen.

Davon profitierte eine neue Generation von Filmemachern, die sich ihrem Land unvoreingenommen näherten und politische und gesellschaftskritische Filme drehten, in denen sie eine Bestandsaufnahme des modernen Taiwans und seiner nationalen Identität vornahmen. Die Werke des Neuen Taiwanischen Kinos sind komplex, aber subtil – sie fußen meist auf erzählerischer Reduktion und gewannen regelmäßig Preise der wichtigen Filmfestivals.

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Ein guter Einstiegsfilm

Die Spur des Schreckens

Edward Yang | 1986 | Taiwan

In Die Spur des Schreckens verfolgt Edward Yang die einander kreuzenden Wege von Menschen in Taipeh, was zunächst episodenhaft anmutet und an die Filme von Tsai Ming-liang erinnert, der die Hauptstadt Taiwans ebenfalls als anonyme Metropole zeichnet. Die reduzierte Inszenierung verstärkt diese Weltsicht durch einen semidokumentarischen Stil, mit fortlaufender Spielzeit ändert sich der Eindruck jedoch. Je stärker die einander unbekannten Protagonisten sich gegenseitig beeinflussen, desto unnatürlicher wirkt der Realismus des Films. Das schicksalhafte Finale verstärkt den postmodernen Anstrich von Die Spur des Schreckens und trifft uns unerwartet.

Top 4: Die besten Filme des Neuen Taiwanischen Kinos

Filmszene aus Ein Sommer zum Verlieben

Ein Sommer zum Verlieben

Edward Yang | 1991 | Taiwan

Ein Sommer zum Verlieben ist das Opus magnum des Neuen Taiwanischen Kinos: In erstaunlich kurzweiligen vier Stunden schildert Edward Yang das Leben der Jugend im Taipeh der Sechziger Jahre. Sein reichhaltiges Zeit- und Gesellschaftsbild schwelgt in wunderschönen Bildern und baut eine dichte Atmosphäre auf, die die Historie Taiwans erlebbar macht. Dabei bewegt sich Yangs Film weitab jeder Sentimentalität, Ein Sommer zum Verlieben geht kritisch mit dem Kuomintang-Regime und seinem „Weißen Terror“ um und spiegelt die Auswirkungen der politischen Gewalt auch im brutalen Alltag der Jugendgangs. Dennoch besitzt Ein Sommer zum Verlieben auch viele herzliche und amüsante Momente, was für einen ambivalenten Gesamteindruck sorgt.

Filmszene aus Vive l'Amour - Es lebe die Liebe

Vive l’Amour – Es lebe die Liebe

Tsai Ming-liang | 1994 | Taiwan

Von der Einsamkeit der Großstadt: In Tsai Ming-liangs zweiten Film Vive l’Amour leben die Menschen schweigend vor sich hin, was der Regisseur in statischen Plansequenzen ohne Dialoge einfängt. Doch in dieser unbeteiligten Inszenierung und der alltäglichen Banalität verbergen sich humoristische Einsprengsel, die Suche nach Lebenssinn und Liebe sowie eine große Melancholie, die immer wieder hervorbricht. Damit gewann Tsai den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig und feierte seinen internationalen Durchbruch.

Filmszene aus Das Hochzeitsbankett

Das Hochzeitsbankett

Ang Lee | 1993 | Taiwan, USA

Mit Das Hochzeitsbankett gelang Ang Lee der internationale Durchbruch, die Komödie gewann 1993 den Hauptpreis der Berlinale. Lee schildert eine Charade, die der in New York lebende Wai-Tung für seine plötzlich aus Taiwan angereisten Eltern aufführen muss. Sie kommen für die Hochzeit ihres Sohnes, doch der ist eigentlich schwul und ging die Ehe nur zum Schein ein – die Situation führt Wai-Tung, seinen Freund und die erst vor kurzem kennengelernte Braut durch zahlreiche Verwicklungen. Dabei besticht der Film durch einen warmherzigen Tonfall – er zielt nie aufs Alberne, sondern erweist sich als ungewöhnlich lebensklug, weil er auf unterhaltsame Weise die Beziehung zwischen verschiedenen Kulturen, Generationen und Geschlechtern verarbeitet.

Filmszene aus Rebels of the Neon God

Rebels of the Neon God

Tsai Ming-liang | 1992 | Taiwan

Während viele spätere Arbeiten von Tsai Ming-liang durch eine wortlose Einsamkeit und kalte Großstadtbilder wie bei Michelangelo Antonioni geprägt sind, zeigt sich der Regisseur in seinem Debütfilm Rebels of the Neon God von einer anderen Seite. Sein Porträt eines orientierungslosen Jugendlichen zeichnet Taipei als neonfarbigen Bienenstock und besticht durch Wärme und Humor. Dennoch sind hier bereits Tsais typischen Themen vorhanden: Das moderne Leben mutet zunehmend unpersönlich an, die Menschen bleiben auf sich selbst zurückgeworfen und finden keinen Zugang zu einer Gemeinschaft – eine fatalistische Note liegt über dem Geschehen.

Die wichtigsten Filme des Neuen Taiwanischen Kinos

Erste Welle

1982 – In Our Time (diverse)
1982 – The Green, Green Grass of Home (Hou Hsiao-hsien)
1983 – The Boys from Fengkuei (Hou Hsiao-hsien)
1983 – The Sandwich Man (Hou Hsiao-hsien)
1983 – Growing Up (Chen Kun-Hou)
1983 – That Day, on the Beach (Edward Yang)
1984 – A Summer at Grandpa’s (Hou Hsiao-hsien)
1985 – Taipei Story (Edward Yang)
1985 – Geschichten einer fernen Kindheit (Hou Hsiao-hsien)
1986 – Die Spur des Schreckens (Edward Yang)
1986 – Liebe wie Staub im Wind (Hou Hsiao-hsien)
1987 – Daughter of the Nil (Hou Hsiao-hsien)
1989 – Die Stadt der Traurigkeit (Hou Hsiao-hsien)

Zweite Welle

1991 – Ein Sommer zum Verlieben (Edward Yang)
1991 – Schiebende Hände (Ang Lee)
1992 – Rebels of the Neon God (Tsai Ming-liang)
1992 – Dust of Angels (Hsu Hsiao-Ming)
1993 – Das Hochzeitsbankett (Ang Lee)
1993 – Der Meister des Puppenspiels (Hou Hsiao-hsien)
1994 – Vive l’Amour – Es lebe die Liebe (Tsai Ming-liang)
1994 – A Borrowed Life (Wu Nien-Jen)
1994 – A Confucian Confusion (Edward Yang)
1994 – Eat Drink Man Woman (Ang Lee)
1995 – Good Men, Good Women (Hou Hsiao-hsien)
1996 – Goodbye South, Goodbye (Hou Hsiao-hsien)
1996 – Mahjong (Edward Yang)
1997 – Der Fluss (Tsai Ming-liang)
1998 – Flowers of Shanghai (Hou Hsiao-hsien)
1998 – Der letzte Tanz (Tsai Ming-liang)
2000 – Yi Yi – a One and a Two (Edward Yang)
2001 – Millennium Mambo (Hou Hsiao-hsien)
2001 – What Time Is it There? (Tsai Ming-liang)
2002 – Blue Gate Crossing (Yee Chin-Yen)
2005 – Das Fleisch der Wassermelone (Tsai Ming-liang)
2005 – Three Times (Hou Hsiao-hsien)

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