Crash

Ein Film von David Cronenberg

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1996

 | Jahrzehnt: 1990 - 1999

 | Produktionsland: GroßbritannienKanada

 

1996 wagte sich David Cronenberg an einen als unverfilmbar geltenden Roman. Crash kommt dem kontroversen Werk von J. G. Ballard erstaunlich nahe und zählt zu den anspruchsvollsten Arbeiten des Regisseurs, der damit einen Spezialpreis in Cannes gewann.

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Filmkritik:

In Crash lebt der Filmproduzent James Ballard ein gelangweiltes Wohlstandsleben, bis ihn ein Autounfall aus seiner Apathie reißt. Im Krankenhaus lernt Ballard den mysteriösen Vaughan kennen, der eine kleine Schar von Jüngern anführt, die ihren sexuellen Nervenkitzel aus absichtlich herbeigeführten Autounfällen beziehen. Fasziniert schließt sich Ballard ihnen an und versinkt in dieser neuen Welt aus Penetration und Deformation.

Cronenbergs Film beruht auf dem gleichnamigen Roman des britischen Autors J. G. Ballard, dessen Zukunftsvisionen so unbequem sind, weil sie so dicht an unserem Alltag stattfinden. Ballard siedelt seine Science-Fiction an gewöhnlichen Orten an: Die Betoninsel spielt auf einer leeren Asphaltfläche zwischen zwei Autobahnen, Crash in Autos und (der inzwischen verfilmte) High-Rise in einem abgeschotteten Hochhaus.

Indem Ballard alltägliche Schauplätze zweckentfremdet, etabliert er eine „verkehrte Welt“, die der französische Soziologe Jean Baudrillard als Hyperrealität bezeichnete – sie beinhaltet kaum fiktionale Elemente, bewegt sich aber trotzdem abseits der Realität. Ballard eröffnet verborgene Zwischenräume inmitten der gesellschaftlichen „Normalität“ und stößt seine nichts ahnenden Protagonisten dort hinein, um die conditio humana zu erforschen.

Ballards bemerkenswerteste Arbeit Crash galt lange als unverfilmbar: Die 240 Seiten strotzen nur so vor explizitem Sex, jeder Gedankengang der Figuren führt unweigerlich zu diesem Thema. Dabei verweigert sich der Roman jeder Sinnlichkeit: Eiskalt und medizinisch beschreibt Ballard den Akt, immer abseitiger greifen die Interieurs der Autos, deformierte Körper und Sex ineinander. Ballard formuliert eine Horrorvision, in der die Technologie die Figuren vom eigenen Menschsein entfremdet.

Daraus ergeben sich weitreichende Überschneidungen zu den motivistischen Vorlieben David Cronenbergs – besonders in Shivers, der an High-Rise erinnert, aber auch in Die Fliege und Videodrome. In Letzterem formt digitale Technologie den Verstand des Menschen; Crash bildet dazu das Gegenstück: Hier formt mechanische Technologie den Körper.

Wie konsequent Cronenberg die Adaption angeht, verdeutlicht schon der Auftakt: Crash startet mit zwei Sexszenen, noch bevor der erste Dialog gesprochen wird. Dabei offenbart der Film auch die Unmöglichkeit, Ballards eisigen Duktus zu transportieren: Egal wie kühl oder distanziert ein Film Sex abbildet – die Sinnlichkeit ist jeder Visualisierung inhärent. Dazu tragen auch die Körper der naturgemäß attraktiven Schauspieler (James Spader, Deborah Kara Unger) bei.

Den erotischen Anwandlungen wirkt Crash mit einer unfreundlichen Stimmung entgegen: Cronenberg fängt Toronto als anonyme Großstadt ein, die unsaubere Ausleuchtung und harte Kontraste sorgen für unansehnliche Bilder. Dadurch vermittelt der Film einen rohen Eindruck, der auch den Sex freudlos erscheinen lässt.

Auch den Reiz, den die Auto-Gewalt auf die Protagonisten ausübt, enthält uns Cronenberg vor. Die grobe Ästhetik negiert jede Coolness, die Inszenierung pfeift auf die Schauwerte. Crash giert nicht nach den Sensationen des Genrefilms, er ist kein auf Spannung ausgelegter Thriller und besitzt auch nicht den launigen Trash-Appeal von Cronenbergs Frühwerk.

Statt lautem Motorengeheul stimmt der Film überraschend leise Töne an. Ein Großteil der Dialoge wird dahingehaucht, die subtile Musik von Cronenbergs Stammkomponisten Howard Shore klingt nur in wenigen Szenen an. Der Regisseur entwirft eine intime Zustandsbeschreibung und fängt die Hyperrealität der Romanvorlage perfekt ein – auch im Film scheint es keine Außenwelt zu geben, wir erleben das Geschehen durchweg in der Lebensrealität der Unfallfetischisten.

Cronenberg nimmt also einen paradoxen Kunstgriff vor – er kombiniert ein intimes Storytelling mit einer distanzierten Inszenierung. Mit diesem Widerspruch neutralisiert der Regisseur die eigene Position zum Geschehen: Er zeigt nur, aber wertet nicht. Damit erweist sich Crash als eine der herausforderndsten Arbeiten Cronenbergs und im besten Sinne als Film für Erwachsene. Der Regisseur begegnet uns auf Augenhöhe und traut uns eine Auseinandersetzung zu.

Den mahnenden Charakter der Buchvorlage weicht diese Ambivalenz auf, wie der Werdegang des von Spader und Unger gespielten Paares veranschaulicht: Zu Beginn regelrecht erstarrt, finden die beiden durch die Implikationen der Autounfälle eine neue Intimität. Selbst nach dem faszinierenden Finale bleibt offen, ob es sich dabei um einen utopischen oder dystopischen Zustand handelt.

In jedem Fall ist die Wandlung von Spaders Figur ein voller Erfolg von Vaughan, dem Messias der Crash-Clique. Der unscheinbare Mann entfaltet eine ungeheure Anziehungskraft, sobald er hinter dem Steuer seinem schweren Lincoln Continental sitzt. Wenn Mensch und Maschine verschmelzen, entwickelt Vaughan eine ruchlose Potenz und erhebt sich zum Herrscher der Straße.

Vaughan ist ein Künstler der Moderne: Er meißelt nicht länger griechische Helden in Marmor, sondern transformiert Körper mit Metall. Das „neue Fleisch“ aus Cronenbergs Videodrome findet sich auch hier. Oder doch nicht? Der Kanadier erlaubt sich den Spaß, uns auf den offensichtlichsten Haken beißen zu lassen. Zunächst gibt Vaughan noch „reshaping of the human body by technology“ als Ziel aus, nur um später abzuwinken: „That’s just a crude Sci-Fi concept.“ Dass uns der Antagonist bis zum Schluss fremd bleibt, zählt zu den Reizen des Films.

Für den leider auf Nebenrollen abonnierten Elias Koteas zählt Crash zu den Karrierehöhepunkten; zuvor hatte der kanadische Schauspieler schon in Atom Egoyans Der Schätzer und Exotica imponiert. Neben Koteas und den zuvor genannten Hauptdarstellern überzeugen auch Holly Hunter und Rosanna Arquette als Anhänger des Crash-Propheten.

Obwohl David Cronenberg die Konsequenz und den Wahnsinn von Ballards Roman nicht ganz erreicht, gelingt ihm eine umwerfende Adaption. Crash trifft den Geist der Vorlage und dessen hypnotische Stimmung. Gekonnt vermittelt er die Macht der Crashes und Orgasmen – kleine Tode, dem Leben nachspürend.

★★★★★☆

David Cronenberg

Der kanadische Regisseur David Cronenberg zählt zu den Größen des Genrefilms, fing aber klein an. Schon seine frühen, mit wenig Budget produzierten Horrorfilme beeindrucken durch ihre Hintersinnigkeit. Cronenbergs Faible für psychologische Abgründe und körperliche Transformationen prägte den Begriff Body Horror. Seine Filme sind selten perfekt, aber immer herausfordernd.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.