Die Vergessenen

Ein Film von Luis Buñuel

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1950

 | Jahrzehnt: 1950 - 1959

 | Produktionsland: Mexiko

 

Die Vergessenen zählt zu den Meilensteinen des mexikanischen Kinos. Das schonungslose Sozialdrama sorgte für Kontroversen, bescherte Luis Buñuel aber auch den Regiepreis der Filmfestspiele von Cannes und leitete die imposante Karriere des spanischen Filmemachers ein.

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Filmkritik:

Der Titel des Films bezieht sich auf die vielen sich selbst überlassenen Kinder und Jugendlichen auf den Straßen von Mexiko-Stadt. Schon in seinem Vorwort beschreibt Buñuel die pessimistischen Zukunftsaussichten der Protagonisten, die ohne Schulbildung in bitterster Armut leben und drohen, in die Kriminalität abzurutschen.

Die Vergessenen beobachtet ein Dutzend 10- bis 14-Jähriger, die zu Beginn des Films einen neuen Anführer bekommen. Der etwas ältere Jaibo ist aus einer Besserungsanstalt ausgebrochen, übernimmt die Kontrolle und führt die anderen Jungen auf einen kriminellen Pfad, sodass die Situation zunehmend eskaliert.

Ende der Zwanziger Jahre sorgte Luis Buñuel mit seinem surrealistischen Kurzfilm Ein andalusischer Hund für Aufsehen, doch die Karriere des Regisseurs stagnierte infolge der politischen Wirren. Im Zuge des Spanischen Bürgerkrieges und der Machtergreifung General Francos wanderte Buñuel nach Mexiko aus und verschwand für viele Jahre in der Versenkung.

Dank Die Vergessenen gelang ihm das Comeback. Buñuels surrealistische Anfänge blitzen nur noch in einer hervorragend inszenierten, ungemein verstörenden Albtraumsequenz auf; deutlicher bezieht sich der Regisseur auf seinen 1932 gedrehten Dokumentarfilm Land ohne Brot und den Italienischen Neorealismus.

Wo neorealistische Klassiker wie Schuhputzer die Tristesse ihrer Figuren zurückhaltend transportieren, tendiert Buñuel stärker in Richtung Melodram und erzählt dadurch noch ein ganzes Stück eindringlicher. Die nur 80-minütige Spielzeit sorgt für eine Komprimierung der Geschichte und lässt keinen Raum für Auflockerung. Stattdessen steigert das Drehbuch die Dramatik des Films auf das größtmögliche Maß und setzt einen schockierenden Schlusspunkt.

Die effektvolle Dramaturgie geht Hand in Hand mit einem harschen Tonfall und der pessimistischen Stimmung des Films. Die Vergessenen zeigt eine Welt ohne Liebe und Wärme, was eine zunehmende Verrohung der Figuren zur Folge hat. Zurückgeworfen auf einen täglichen Existenzkampf, richtet sich die Hoffnungslosigkeit der Kinder zwangsläufig gegen die noch Schwächeren: Andere Kinder, Blinde und Krüppel werden verprügelt und ausgeraubt.

Obwohl der gewissenlose Anführer Jaibo einen formidablen Antagonisten abgibt, bleibt er trotz seiner ruchlosen Taten ein Opfer. Von simplen Schuldzuschreibungen wendet sich Buñuels Werk ab. Ähnlich wie das 50 Jahre später veröffentlichte brasilianische Drama City Of God verweist Die Vergessenen lieber auf die Zusammenhänge: Die Zustände ergeben sich als logische Folge aus der wirtschaftlichen Schieflage des Landes, mangelnder Bildung und einer fehlenden Sozialpolitik.

Durch seine Konsequenz erzeugt Die Vergessenen eine große Wucht. Das wütende Finale lässt fassungslos zurück und zeigt Kinder, die sich wie wilde Tiere gebärden und sinnlos sterben. Die offen ausgestellte Hoffnungslosigkeit brachte die Kinozuschauer gegen sich auf. Nach nur drei Tagen wurde Die Vergessenen aus den mexikanischen Kinos zurückgezogen. Einige Organisationen sprachen sich sogar dafür aus, Buñuel zurück nach Spanien auszuweisen.

Inzwischen gilt Buñuels Arbeit längst als einer der besten mexikanischen Filme. Die UNESCO nahm das Sozialdrama als zweites Werk überhaupt in die Liste des Weltdokumentenerbes auf – die exzellente Wahl eines beeindruckenden humanistischen Klassikers.

★★★★★☆

Luis Buñuel

Das Schaffen von Luis Buñuel umfasst 48 Jahre und brachte unzählige Klassiker hervor. Die Filme des spanischen Regisseurs zeichnen sich durch geistreiche Ironie und scharfe Gesellschaftskritik aus. Mit seinen Anklagen gegen die Bourgeoisie und die Kirche sorgte Buñuel für Kontroversen, die er durch seine oft surrealistischen Inszenierungen noch verstärkte.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.