Pulse
Ein Film von Kiyoshi Kurosawa
In Pulse vereint Kiyoshi Kurosawa einmal mehr Horrorfilm und Kunstkino: Der Regisseur verbindet den Topos des Geisterfilms mit der neuen Digitalität der Menschheit und formt daraus ein Endzeitszenario, das auch ohne grelle Schockmomente eine verstörende Wirkung erzeugt.
Filmkritik:
In George R. Romeros Zombie-Klassiker Dawn of the Dead heißt es über das Auftauchen der Untoten: „When there’s no more room in hell, the dead will walk the Earth.“ Ähnlich verhält es sich in Pulse, in dem Geister das Jenseits nicht mehr ertragen. Sie kehren über das Internet in die Welt der Lebenden zurück und lösen damit in Tokio eine Welle von Selbstmorden aus.
Geister besitzen in der japanischen Kulturgeschichte eine lange Tradition, die sich vom Kabuki-Theater des 19. Jahrhunderts über Filmklassiker wie Kuroneko oder Ugetsu bis in die Moderne erstreckt. Mit Hideo Nakatas Sensationserfolg Ring entfachte das japanische Geisterkino 1998 einen weltweiten Hype und trat eine Flut von Epigonen und US-Remakes los.
Ring war auch deshalb so spannend, weil er klassische Topoi mit der Moderne verband, indem er einen altmodischen Fluch mit dem damals aktuellen VHS-Medium kombinierte. Drei Jahre später ging Pulse noch einen Schritt weiter und erhob das immer noch neuartige, aber bereits allumfassende Internet zum Heim der Geister.
Obwohl Kiyoshi Kurosawa den Trend der japanischen Geisterfilme anzapfte, ließ sich der Regisseur davon nicht vereinnahmen. Im Gegensatz zum effektvollen, aber konventionellen Ring ist Pulse deutlich ambitionierter angelegt. Kurosawa hatte bereits 1997 mit seinem Meisterwerk Cure gezeigt, wie sich Motive des Genrekinos mit den Stilmitteln des Kunstkinos kombinieren lassen; mit Pulse knüpft Kurosawa nahtlos daran an.
Der Regisseur setzt erneut auf lange Einstellungen und eine statische Kamera, wieder verordnet er seiner Filmwelt eine entsättigte Farbpalette aus Braun- und Grautönen, die einen tristen, menschenfeindlichen Eindruck evoziert. Die Tonebene unterstützt die bedrohliche Stimmung durch wummernde Klänge und einige Choräle, die von kommenden Schrecken künden. Die formale Strenge erzeugt eine existenzialistische Schwere, die den Film dominiert.
Narrativ hält sich Pulse hingegen stark zurück, denn Kurosawa erzählt überwiegend visuell – er erklärt nicht, sondern konfrontiert. Wie sein amerikanischer Kollege David Lynch zwingt uns der japanische Regisseur zum Fühlen und verhindert das Verstehen. Dabei entsteht der Horror nicht aus billigen Schocks, sondern aus einer tiefgehenden Verunsicherung: In Pulse geht etwas Schreckliches vor sich, doch wir können es nie ganz erfassen oder benennen.
Damit ergeht es uns wie den Protagonisten, die Kurosawa hinterrücks angreift. Wie schon in seinen vorherigen Arbeiten schildert der Regisseur den Zusammenbruch der Lebensrealität seiner Figuren als schleichenden Vorgang. Ihre Welt befindet sich in einem Zersetzungsprozess, der nur in kleinen Details zum Vorschein kommt. Wenn die Figuren ihn bemerken, ist es schon zu spät und ihre Welt verloren.
Die Symptome des Verfalls sind in Pulse medialer Natur: Fernseher schalten sich von alleine ein, digital verzerrte Geisterstimmen bitten über Telefone um Hilfe, Menschen verschwinden aus der physischen Welt und landen in Internetvideos oder auf Handydisplays. Kurosawas Film beweist eine erstaunliche Weitsichtigkeit und zeigt auf überhöhte Weise, wie das Digitale das Analoge angreift: Menschen lösen sich zunehmend auf und verwandeln sich in digitale Geister.
Die echte Welt verkümmert hingegen: Pulse spielt in Tokio, einem der weltgrößten Ballungszentren, und zeigt trotzdem kaum mal mehr als 2 Menschen auf einmal. Das analoge Leben gerät zur Sackgasse der medialen Welt und konfrontiert die Zurückgebliebenen mit einer tiefgehenden Isolation. Daher ist der Horror des Films ein existenzieller: Kurosawa erzählt von der urbanen Einsamkeit des modernen Medienmenschen, der sein (physisches) Selbst im digitalen Nirwana verliert.
Er strickt daraus ein lange mysteriöses Szenario und lässt das Geschehen schließlich endgültig kippen – Tokio entwickelt sich wortwörtlich zur Geisterstadt. Weil Pulse sein pessimistisches Konzept konsequent zu Ende denkt, entwickelt Kurosawas Horrorfilm eine Schlagkraft, die lange nachwirkt.
★★★★★☆
Horrorfilm
Das Horrorgenre gibt uns die Möglichkeit, Schreckensszenarien durchzuspielen und damit Stress aus unserem Unterbewusstsein abzuleiten. Der Horrorfilm bedroht immer die Normalität – sei es durch Geister, Monster oder Serienkiller. In der Regel bestrafen die Antagonisten die Verfehlungen von Sündern, inzwischen verarbeiten postmoderne Horrorfilme diese Motive jedoch auch ironisch und verbreitern damit die ursprünglichen Sujets des Genres.