Eraserhead

Ein Film von David Lynch

Genre: Horrorfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 1977

 | Jahrzehnt: 1970 - 1979

 | Produktionsland: USA

 

Der surrealistische Horrorfilm Eraserhead markiert den Karrierestart von David Lynch. Sein unnachahmlich inszenierter Albtraum hat seit der Veröffentlichung im Jahr 1977 nichts von seiner Wucht verloren und zählt nach wie vor zu den schockierendsten Erfahrungen der Kinogeschichte.

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Filmkritik:

Wie so viele Werke Lynchs besitzt auch Eraserhead einen autobiografischen Kern: Nachdem der junge David eine behütete Kindheit in einem idyllischen Vorort Washingtons genoss, hatte sich sein Leben binnen kürzester Zeit gedreht.

Nur wenige Jahre nach seiner sorgenfreien Jugend sah er sich plötzlich mit einer Rolle als jungverheirateter Erwachsener und Vater eines Kleinkindes konfrontiert. Die frisch gegründete Familie lebte in einer schlimmen Ecke Philadelphias, wo Verbrechen an der Tagesordnung waren. Rückblickend sah Lynch diese Zeit angefüllt „voller Gewalt und Hass und Dreck“, versehen mit einem Gefühl „extremer Gefahr und intensiver Angst.“

Für ein Stipendium des American Film Institute zog Lynch nach Los Angeles und drehte dort mit einem läppischen Budget von 20.000 Dollar Eraserhead. Ursprünglich waren die Dreharbeiten auf einige Monate ausgelegt, zogen sich jedoch über mehrere Jahre dahin. Dank Finanzspritzen von Freunden konnte Lynch sein Debüt fertigstellen und die Erinnerungen an die schreckliche Zeit in Philadelphia in eine abstrahierte Form gießen.

Lynchs erstes Werk spielt in einer heruntergekommenen Industriewelt, in der nie die Sonne scheint. Überall stapeln sich Schrott und Unrat, flimmernde Lampen liegen in ihren letzten Zügen, die Einrichtung der Wohnungen wirkt wie aus Sperrmüll zusammengestellt.

Die stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bilder und die unheilvolle Geräuschkulisse erweisen sich als effektvoll. Das Dröhnen und Pfeifen von Industrieanlagen, irgendwo entlang rasende Züge und ein obskures Wummern zerren an den Nerven, während immer mal wieder dezente Jazzmusik zu hören ist, die wie aus einer längst vergangenen, besseren Zeit verhalten herüberwabert.

In dieser Welt lebt der junge Mann Henry, dessen Leben in Rekordzeit den Bach runter geht: Als seine Ex-Freundin Mary ihn nach Wochen der Funkstille zum Abendessen bei ihren Eltern lädt, ahnt Henry schon, dass etwas im Argen liegt. Dann offenbart ihm Marys Mutter, dass ihre Tochter schwanger war und ein Kind geboren hat.

Henry bleibt nichts weiter übrig, als seine Ex-Freundin zu heiraten. Die ungewollte Verantwortung und die leblose Partnerschaft belasten Henry schwer; und dann ist da noch dieses zu früh geborene Baby. Oder wie Mary sagt:

„Mother, they’re still not sure it is a baby!“

Auch nach mehr als 6.000 gesehenen Filmen fällt mir keine Kreatur der Kinogeschichte ein, die mich derart verstört wie der Nachkomme von Henry und Mary. Mit welchen Mitteln Lynch das Erscheinungsbild des Babys umsetzte, zählt zu den ewigen Geheimnissen des Films. Das Ergebnis beeindruckt – insbesondere angesichts des schmalen Budgets – nachhaltig und bleibt auf ewig in unangenehmer Erinnerung.

Meisterhaft bedient Lynch die Klaviatur des Schreckens: Ob Kamera, Schnitt, Lichtsetzung oder das bizarre Setdesign – Eraserhead sorgt für ein ungeheuer morbides Gesamterlebnis, das seinen Horror in abstrakter Symbolik verpackt. Der Film fährt unzählige sexuelle Metaphern und freudianische Motive auf, schildert seelischen Verfall, Manien und Wahnsinn, beherbergt aber auch Übernatürliches und Traumsequenzen.

Die Einordnung des Gesehenen beschäftigt wochenlang und sorgt dafür, dass jeder Zuschauer seinen eigenen Film sieht. Doch trotz dieser Ambivalenz verkommt Eraserhead nie zum kopflastigen Rätsel, sondern entwickelt während des Sehens eine unmittelbare Wucht und funktioniert in erster Linie auf einer unterbewussten emotionalen Ebene.

Lynchs Debütfilm stellt nach wie vor die kompromissloseste Arbeit des Filmemachers dar. Wo spätere Meisterwerke wie Lost Highway oder Blue Velvet sich referenzieller mit dem Kino, dessen Genres und Motiven auseinandersetzen, steht Eraserhead für sich allein; ein tiefschwarzes Inferno, ein erschreckender Trip in die Abgründe der Seele.

★★★★★★

David Lynch

Die Filme von David Lynch sind einzigartig. Der amerikanische Regisseur entwirft (Alb)Traumwelten, die sich oft hinter der Fassade der Normalität verstecken. Dabei scheut Lynch nicht davor zurück, uns durch surreale Szenen herauszufordern. Im Gegenteil: Die Magie von Lynchs Werken entwickelt sich gerade aus der Tatsache, dass er sich Erklärungen verweigert. Seine Filme zielen direkt auf unser Unterbewusstsein ab.

Horrorfilm

Das Horrorgenre gibt uns die Möglichkeit, Schreckensszenarien durchzuspielen und damit Stress aus unserem Unterbewusstsein abzuleiten. Der Horrorfilm bedroht immer die Normalität – sei es durch Geister, Monster oder Serienkiller. In der Regel bestrafen die Antagonisten die Verfehlungen von Sündern, inzwischen verarbeiten postmoderne Horrorfilme diese Motive jedoch auch ironisch und verbreitern damit die ursprünglichen Sujets des Genres.