Beruf: Reporter

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1975

 | Jahrzehnt: 1970 - 1979

 | Produktionsland: Italien

 

Mit Beruf: Reporter hat Michelangelo Antonioni sein ultimatives Meisterwerk geschaffen. Einen in jeder Hinsicht makellosen Film, der inhaltliche und formale Strukturen zu einem komplexen Amalgam verschmilzt, das nie an Aktualität einbüßen wird, weil das philosophische Fundament des Films das Menschsein selbst beschreibt.

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Filmkritik:

Sein Hauptaugenmerk richtete Antonioni, der erstmals einen fremden Stoff adaptierte, vor allem auf existenzphilosophische Themen. Sein Protagonist David Locke befindet sich auf der Flucht vor der vagen Idee eines geregelten Lebens, einer Lebensmodell-Blaupause, die er nicht ausfüllen will oder kann. Die Flucht davor wird ihm durch seinen Beruf ermöglicht: Er ist journalistischer Globetrotter und zu Beginn des Films unterwegs in der afrikanischen Wüste, um einen Konflikt zwischen aufständischen Rebellen und dem herrschenden Diktator zu recherchieren.

Lockes vor vielen Jahren begonnene Flucht in die weite Welt und weg von einem konventionellen Retortenleben entpuppt sich als Fehlschlag, weil er keinen Bezug mehr zu seinem Tun findet und den daraus resultierenden Sinnverlust erkennen muss: In seinem Beruf als objektiver Berichterstatter erscheint er überflüssig. Die Regeln seines Auftrages fesseln ihn mit dem Zwang zur wertungsfreien Dokumentation der Verhältnisse, in die sein Tun in keinster Weise eingreifen wird – mehrere Monate zurückblickend diktatorische Massenhinrichtungen zu dokumentieren bringt die Toten nicht wieder ins Leben zurück, ändert nichts am Lauf der Dinge, beweist Erkenntnisse, die schon wieder obsolet sind.

Überflüssig mag Locke sich auch selbst vorkommen, wenn er leeres Privat- und nichtiges Berufsleben zu einer wertlosen Gesamtsumme addiert. Doch ergibt sich die Chance auf einen Ausbruch aus dem eigenen Dasein, als Locke den ähnlich aussehenden Hotelzimmernachbarn namens David Robinson tot auffindet und beschließt, sein Leben mit dem des Fremden zu vertauschen.

In der Folgezeit stellt Antonioni unter Benutzung einer genialen Filmsprache den Ausbruchsversuch seines Protagonisten dar und startet mit der Aufteilung des toten Zimmernachbarn Robinson, den Locke zunächst nur noch als seelenlosen physischen Körper wahrnimmt. Einige Minuten später lauscht Locke dann einer im Off stattfindenden Tonbandunterhaltung, in der Robinson auf seine körperlose Identität reduziert wird.

Den Grundgedanken dahinter, dass Robinson sich problemlos in Körper und Identität aufspalten lässt, birgt die Schlussfolgerung, dass der tote Körper eine losgelöste Identität verfügbar macht, die sich Locke aneignen kann. Sein eigenes, ihm unlieb gewordenes Selbst lässt er einfach mit dem Körper des Toten begraben und begibt sich auf eine Odyssee durch Europa.

Ohne es zu bemerken, passt Locke seine neue Identität sogleich seinem eigenen Charakter an. Erst später wird ihm bewusst werden, dass ein Mann zwar seinen Namen ablegen kann, seine Angewohnheiten jedoch nicht. Zudem ist es nur eine Seite der Medaille, selbst an ein neues Ich zu glauben; Locke benötigt externe Bestätigung, die er in Person einer jungen Touristin findet. Sie hilft ihm aus einer verzwickten Situation und schläft später sogar mit ihm, dient Locke jedoch ausschließlich als Benchmark seiner versuchten Verwandlung.

Das Ergebnis gestaltet sich zunehmend unbefriedigender, wenn die Begleiterin als Zeugin von Lockes neuer Identität letztlich mehr und mehr von dessen altem Ich reflektiert und es Locke immer unmöglicher macht, sich selbst zu betrügen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Locke reisen, fahren, fliehen kann so viel er will: Er entfernt sich nicht einen Schritt von seinem alten Ich, dass auch in einer neuen Identität eingebettet unverändert weiter existiert.

Die Welt außerhalb seines Körpers wird für Locke so lange leblos und abweisend bleiben, bis er sein Inneres geordnet und sich selbst gefunden hat. Die verschiedenen Stadien des Protagonisten werden von Antonioni durch die Welt um Locke herum gespiegelt: Wüsten der Einsamkeit, verwinkelte Architekturen des Verlorenseins und schmucklosen Interieurs der Trostlosigkeit bilden die Schauplätze von Beruf: Reporter. Auch auf der Tonspur gibt es nichts Belebendes: Endlose Windböen, Motorengeräusche und Städtelärm spiegeln über weite Strecken die visuelle Ebene wieder, erleichternde Musik bleibt außen vor.

Interessanterweise tut Antonioni mit seinem Sujet etwas Paradoxes: Er erleichtert den Zugang, in dem er den Kern verschleiert. Als Grundgerüst des Films entpuppt sich letztlich ein Plot, der archetypisch für einen Thriller wäre: Der Identitätentausch erweist sich als bedrohlicher Fehler, denn der tote Robinson betätigte sich als internationaler Waffenschmuggler, dessen Geschäfte nun Hinterlassenschaften bilden, die Locke enträtseln und bewältigen muss – afrikanische Rebellen sind bereits in Vorzahlung getreten und erwarten nun Lieferungen, deren Nichteinhaltung Lockes neues Leben verkürzen würde.

Beruf: Reporter lässt sich also auch wunderbar als Genrefilm lesen und bietet typische Szenarien: Verfolgungsjagden, geheime Treffen mit Unbekannten, Beschattungen, Codenamen, Geld und Waffen. Diese Genreversatzstücke reichen dem Zuschauer die Hand: Er muss sich nicht in eine abstrakt-philosophische Gedankenwelt einarbeiten, sondern kann den groben Teil der Geschichte anhand gängiger Narrationsprinzipien einordnen, sodass er zwischen den offensichtlichen Genremustern das in den Tiefen befindliche Sujet entdecken kann. Zudem sorgt Antonioni für eine Bindung des Zuschauers zum Protagonisten, wenn er beide mittels Genreanleihen durch ihre Erwartungshaltung eint und ein Leben zeigt, das als Thriller konzipiert ist, aber unberechenbar und kaum steuerbar erscheint, Erwartungen nur in Ansätzen erfüllt.

Da der inhaltliche Kern letztlich doch woanders liegt, ist Beruf: Reporter glücklicherweise alles andere als ein konventioneller Thriller geworden: Antonioni kokettiert lediglich mit den Genreelementen und führt diese gleich wieder ad absurdum, lässt jegliche Spannung schnell wieder in existenzialistischer Wüste außerhalb konventioneller Dramaturgien münden. So bietet der Film beispielsweise gleich mehrere Möglichkeiten, die auf eine verschleierte Identität der von Maria Schneider gespielten vermeintlichen Zufallsbekanntschaft Lockes hinweisen, die also vielleicht doch nicht einfach nur eine Touristin ist; die Beantwortung aufkommender Fragen lässt das Drehbuch jedoch schlicht außen vor und befeuert die Imaginationskraft des Zuschauers.

Seine Intentionen bekräftigt Antonioni weiterhin in den keinesfalls ausschließlich als Zugeständnis zu verstehenden Spannungsszenen: Locke wird nicht nur von betrogenen Afrikanern verfolgt, sondern auch von seiner eigenen Frau, die ihn ironischerweise unwissentlich sucht, weil sie Robinson zu finden hofft. Hier entsteht dann tatsächlich konkretes Suspense, wenn die Verfolger den Verfolgten zu erwischen drohen. Am Spannendsten entwickeln sich überraschenderweise nicht die Momente, die in Gestalt der Afrikaner Leib und Leben von Locke bedrohen, sondern jene, in denen Lockes Frau oder einer ihrer Helfer die neue Identität der Hauptfigur aufzudecken drohen. Beruf: Reporter vermittelt also auch in diesem Element wieder die Weltsicht seines Protagonisten, dessen Körper ihm wertloser erscheint als seine neue Identität.

Das Finale des Films muss auf ewig im Olymp der größten Szenen der Filmgeschichte bewahrt und von Zeit zu Zeit ehrfürchtig bewundert werden. Antonioni gelingt es, den Endpunkt seines eigenen Diskurses zu setzen und gibt gleichzeitig seinem Publikum den Anstoß, noch weiter, über das Ende des Films hinaus zu denken. Nicholsons Figur befindet sich wie zu Beginn des Films in einem kargen Hotelzimmer, wortwörtlich hinter Gittern, die seine selbst auferlegten Schranken spiegeln.

Locke erzählt die Geschichte eines Blinden, der plötzlich sehen konnte und entgegen seiner Vorstellung eine hässliche Welt erblickte. Die letzten Worte Lockes beschreiben den Suizid des Bettlers, der in dieser hässlichen Welt nicht weiterleben wollte, bevor sich die Kamera, die sich bereits zuvor mehr für die Welt, als für den nichtig in ihr herumirrenden Protagonisten interessierte, für sieben magische Minuten auf den Hof hinter den Gittern ausrichtet.

Ein minutenlanger Zoom auf die Freiheit hinter den Gittern, die Locke so nah erschien und doch so unerreichbar blieb, leitet die Vollendung höchsten cinephilen Glückes ein, wenn die Kamera sich sachte dreht und erkennen lässt, dass sie wie von Geisterhand durch die Gitterstäbe auf den Hof hinaus geglitten ist. Aus der Außenwelt blickt sie hinein zu Locke, der es vielleicht dem Bettler gleichgetan hat oder doch noch von seinen Häschern gefunden wurde.

Ihm wäre es gleichgültig gewesen.

★★★★★★

Michelangelo Antonioni

Michelangelo Antonioni prägte die goldene Zeit des italienischen Kinos. In seinen Werken seziert der Autorenfilmer das Leben in der modernen Gesellschaft: Seine Protagonisten finden keinen Zugang mehr zu anderen Menschen und entfremden sich zunehmend von ihrer Umgebung. Antonionis Handwerkskunst isoliert die Figuren in sehenswerten, aber eiskalten Bildern, in der die Menschen sich in der Architektur der Großstadt verlieren.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.