Das Versteck
Ein Film von Narciso Ibáñez Serrador
Mit seinem Thriller Das Versteck findet der spanische Regisseur Narciso Ibáñez Serrador eine Schnittstelle klassischer Sujets des Horrorgenres und erzählt von einem Mädcheninternat, in dem einiges nicht mit rechten Dingen zugeht.
Filmkritik:
Zu Beginn überzeugt Das Versteck mit seiner ausführlichen Exposition – ein neues Mädchen wird von ihrem Vormund in das Internat überstellt und zusammen mit den beiden werden wir von der Internatsleiterin herumgeführt, lernen den Tagesablauf, die Unterrichtsziele und die Räumlichkeiten kennen. Am nächsten Tag klären die Mädchen ihre neue Klassenkameradin dann über die inoffiziellen Gepflogenheiten auf: Disziplin wird groß geschrieben, die Internatsleiterin Madame Fourneau und die Ordnungsschülerin Irene führen ein strenges Regiment.
Das Leben in dem Internat atmet den Geist des viktorianischen Zeitalters, was für das Publikum dank der wirkungsvollen Einleitung schnell spürbar wird. Die allgegenwärtige Unterdrückung ist geradezu greifbar und die erwachende Sexualität der jungen Frauen findet kaum ein Ventil. Nur wenigen Schülerinnen gelingt ein Ausbruch aus der starren Situation: Während eine von ihnen sich lieber einsperren und bestrafen lässt, als immer den Anordnungen folgen zu müssen, lässt sich die Ordnungsschülerin Irene loyal vor den Karren der Anstaltsleitung spannen, um selbst strafen zu können und so ihre eigene Art von Freiheit zu gewinnen.
Die vielen Zwischentöne gehören zu den Stärken von Das Versteck und machen auch vor der Internatsleiterin nicht halt: Diese stellt zwar Disziplin über alles, scheint jedoch ihrerseits regelrecht gefangen zu sein zwischen den rosigen jungen Geschöpfen, die sie führt; gleichzeitig muss sie ihren Sohn erziehen und ihn von den vielen Mädchen fernhalten, die sie alle als nicht gut genug erachtet. Siegmund Freud käme bei diesem Film auf seine Kosten…
Das Ensemble stellt einen weiteren Pluspunkt des spanischen Thrillers dar. Lili Palmer als Internatsleiterin agiert großartig und dominiert ihre Szenen mit autoritärer Ausstrahlung, die vielen jungen Darstellerinnen geben sich keine Blöße und John Moulder-Brown deutet als Sohn von Palmers Figur bereits sein Talent an, das ihm ein Jahr später die Hauptrolle im wunderbaren Coming-of-Age-Drama Deep End einbrachte.
Abseits der konventionellen Probleme innerhalb des Internates gibt es jedoch ein weiteres: In den vergangenen Monaten sind gleich mehrere Mädchen verschwunden. Wie dem Publikum bereits im ersten Drittel mittels einer stimmungsvollen Mordszene offenbart wird, sind diese jedoch nicht davon gelaufen. Hier kreuzen sich nun die Themen des Films: Die sexuell aufgeladene und gleichzeitig repressive Stimmung, der schaurige Charakter der einsam gelegenen barocken Villa und das Mysterium des unbekannten Mörders sorgen für eine hochinteressantes Situation und erinnern an Genreklassiker wie Schloss des Schreckens oder Picknick am Valentinstag.
Das Versteck punktet mit seiner dichten Atmosphäre und den empathischen Figuren, benötigt für den Aufbau des Szenarios jedoch auch drei Viertel der Spielzeit und bietet bis dahin weder große Höhepunkte, noch besondere Spannung; die fehlende Dynamik stellt die Schwäche des Films dar. Davon abgesehen dürften erfahrene Genrefans die oder den geheimnisvollen Mörder bis zum Finale schon auf dem Kieker haben. Dennoch erweist sich der grausige Schluss als effektvoll und entlässt den Zuschauer mit einem wohligem Schaudern. Filmfans, die mehr Wert auf eine stimmungsvolle und ambivalente Erzählung als auf Spannung legen, werden von Das Versteck gut unterhalten.
★★★★☆☆
1960 – 1969
Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.
Horrorfilm
Das Horrorgenre gibt uns die Möglichkeit, Schreckensszenarien durchzuspielen und damit Stress aus unserem Unterbewusstsein abzuleiten. Der Horrorfilm bedroht immer die Normalität – sei es durch Geister, Monster oder Serienkiller. In der Regel bestrafen die Antagonisten die Verfehlungen von Sündern, inzwischen verarbeiten postmoderne Horrorfilme diese Motive jedoch auch ironisch und verbreitern damit die ursprünglichen Sujets des Genres.