Black Swan

Ein Film von Darren Aronofsky

Genre: Horrorfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 2010

 | Jahrzehnt: 2010 - 2019

 | Produktionsland: USA

 

Es ist vollkommen legitim, wenn sich ein Regisseur am Werkzeugkasten der Filmgeschichte bedient. In Black Swan nutzt Darren Aronofsky das geliehene Werkzeug jedoch nicht für einige feine Detailarbeiten, sondern schlägt damit wild um sich.

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Filmkritik:

Zu den subtilen Filmemachern zählte Aronofsky noch nie, doch in seinem düsteren Debütfilm Pi oder dem Drogendrama Requiem For A Dream beherrschte er seine Apparatur und zog das Publikum immer tiefer in seine Albtraumwelten. In Black Swan gelingt dies nicht, weil der Film seinen zahlreichen Vorbildern huldigt, in dem er sie einfallslos nachbuchstabiert und dabei stets oberflächlich bleibt.

Ursprünglich wollte Aronofsky eine Mär über einen Wrestler und eine Ballerina schreiben, doch zu gering schien ihm die Schnittmenge zwischen diesen beiden Zweigen der Unterhaltungsindustrie, sodass er seine Idee spaltete und ein Diptychon schuf, das sich zwei Seiten eines Themas widmet: Die Kunst der Selbstzerstörung zum Gewinn von Vollkommenheit und Lebenssinn. Was in The Wrestler gerade durch die für den Regisseur so ungewöhnliche Bodenständigkeit für melancholische Momente sorgte, bekommt in Black Swan den Charakter eines Psychothrillers alter Schule, wenn Aronofsky ganz klassisch den Konflikt zwischen Eros und Thanatos, an deren Schnittstelle die erhoffte Perfektion steht, auf die Spitze treibt.

Ich bin kein Freund davon, verschiedene Filme miteinander zu vergleichen und die Stärken des einen auf die Schwächen des anderen zu münzen, im Falle von Black Swan hilft ein Blick zurück in die Filmgeschichte jedoch, um zu erkennen, warum Aronofskys Werk so fahl und klinisch wirkt.

Die Idee, ein Ballettstück als Katalysator einer entzweigerissenen Tänzerin zu nutzen, ist bereits mehr als sechzig Jahre alt und wurde im sehenswerten Technicolordrama Die roten Schuhe des britischen Duos Powell und Pressburger eingesetzt. Dort zerbricht die ebenfalls nach Perfektion strebende Protagonistin an der Entscheidung, zwischen ihrer Liebe zu einem Mann oder zur Kunst zu wählen, was der Film über gleich drei perfekt ineinandergreifende Bedeutungsebenen transportiert.

An einer derart schicksalhaften metaphorischen Verbindung zwischen dem Leben und der Kunst versucht sich Aronofsky auch, mehr als das schlichte Motiv des weißen und des schwarzen Schwans fällt ihm jedoch nicht dazu ein. Im Übrigen bietet Die roten Schuhe herausragende Ballettsequenzen, während in Black Swan nur winzige Bruchstücke der Aufführung zu sehen sind. Wo das britische Werk sein Thema untrennbar mit seiner Geschichte verknüpft, benutzt Aronofsky das Ballett lediglich als bloße Folie.

Immerhin widmet sich Black Swan auch mehr der Transformation seiner Heldin Nina, deren asexuelles Leben scheinbar ausschließlich zwischen Kinderzimmer und Probenraum pendelt. Um die Hauptrolle in Schwanensee zu ergattern, erwartet ihr Tanzdirektor einen gänzlich anderen Charakter: Das schüchterne Mädchen soll sich in eine verruchte Frau verwandeln. So ähnlich ergeht es auch Mima in Satoshi Kons großartigem Animationsfilm Perfect Blue. Beide Frauen kämpfen um ihre Karrieren und um ihr Seelenheil – eine ungeheure Drucksituation, in der sich Wirklichkeit und Wahn mehr und mehr überschneiden. Perfect Blue variiert gekonnt die Zerrissenheit seiner Protagonistin, verleiht Mima durchaus gegensätzliche Charaktereigenschaften und lässt damit das Publikum des öfteren im Ungewissen.

Diese Differenziertheit geht Black Swan ab, weil Aronofsky den inneren Konflikt seiner Protagonistin lediglich durch diverse Doppelgängermotive in jeder zweiten Szene „andeutet“. Nina bleibt beinahe die gesamte Spielzeit über ein weinerliches Mauerblümchen, dem das Drehbuch allem Talent zum Trotz keinerlei Selbstbewusstsein oder Persönlichkeit zugesteht. Es bleibt abzuwarten, ob Aronofsky die Charakterzeichnung beim nächsten Versuch besser hinbekommt – die Rechte an Perfect Blue hat er sich bereits gesichert.

Von den beiden vorgenannten wesentlichen Inspirationsquellen abgesehen, bedient sich Aronofsky offensichtlich auch bei den Bodyhorror-Filmen von David Cronenberg und zitiert direkt aus Die Fliege. Er übernimmt jedoch lediglich Cronenbergs Körperlichkeit, ohne die dahinterliegenden figürlichen Feinheiten oder gar den galligen Humor des Kanadiers zu adaptieren; Aronofskys Kino kennt keine Ironie, sondern nur todernste Schwere.

Somit verortet sich Black Swan deutlich näher am bereits 1965 veröffentlichten Ekel von Roman Polanski, der den seelischen Verfall seiner Protagonistin mit derselben Fatalität erzählt sowie ebenfalls Sex und Männer als gefährlich konnotiert. Dabei trifft Polanski stets den richtigen Ton und baut seinen Horror langsam und methodisch auf, was uns vor Augen führt, wie wahllos Aronofsky vorgeht: Black Swan kennt keine reflexiven Momente und keine Zwischentöne, sondern versucht sich daran, sein Publikum dauerhaft zu malträtieren, was szenenweise tatsächlich gelingt, genauso oft jedoch auch sehr bemüht und einfallslos wirkt und aufgrund der vorherigen Konditionierung zu leicht abstrahiert werden kann.

Aller vielleicht unfairer Vergleiche zum Trotz ist Black Swan kein ganz schlechter Film. Das anonyme Setdesign oder die vollkommen unnötige Steadycamwackelei in ruhigen Szenen mögen sich zur Oberflächlichkeit von Thema und Figuren gesellen, doch auch auf der Habenseite kann Aronofskys Werk einiges für sich verbuchen. Die Performance von Natalie Portman in der Hauptrolle beeindruckt gerade im Angesicht der schlichten Figurenzeichnung und findet ihre Entsprechung in der Präsenz von Vincent Cassel und Mila Kunis.

Visuell punktet Black Swan ebenfalls, die düstere Bildgestaltung sorgt für viel Atmosphäre. Zu guter Letzt findet sich in Aronofskys Werk ein interessanter Subtext, der von der Vergänglichkeit von Ruhm handelt und sich ohne Weiteres auf das Startum Hollywoods übertragen lässt. Jeder Perfektion zum Trotz läuft selbst die Uhr der Primaballerina unaufhaltsam ab.

★★☆☆☆☆

Horrorfilm

Das Horrorgenre gibt uns die Möglichkeit, Schreckensszenarien durchzuspielen und damit Stress aus unserem Unterbewusstsein abzuleiten. Der Horrorfilm bedroht immer die Normalität – sei es durch Geister, Monster oder Serienkiller. In der Regel bestrafen die Antagonisten die Verfehlungen von Sündern, inzwischen verarbeiten postmoderne Horrorfilme diese Motive jedoch auch ironisch und verbreitern damit die ursprünglichen Sujets des Genres.