Intentions of Murder

Ein Film von Shôhei Imamura

Genre: Drama

 | Strömung: Japanische Neue Welle

 | Erscheinungsjahr: 1964

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Japan

 

In seiner mehr als vier Jahrzehnte währenden Regiekarriere drehte Shôhei Imamura so einige kontroverse und schwierige Werke, doch Intentions of Murder sticht dennoch aus seiner Filmografie heraus. Nie hat der Japaner seinem Publikum mehr zugemutet und keines seiner Werke bietet eine derartig grenzwertige Filmerfahrung.

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Filmkritik:

Intentions of Murder entfesselt in seinen zweieinhalb Stunden eine düstere Tour de Force, die sich noch am ehesten als melodramatische Passionsgeschichte beschreiben lässt. Im Zentrum des Films steht die unbeholfene Hausfrau Sadako, die ein Leben in Fremdbestimmung verbringt. Geknechtet von Ehemann und Schwiegermutter, lebt sie in einfachen Verhältnissen und erträgt klaglos ihr Schicksal. Dann steht eines Abends ein Mann in ihrem Wohnzimmer. Erst bedroht er Sadako, um an das wenige Geld aus der Haushaltskasse zu kommen, dann vergewaltigt er sie. Dies ist der Beginn einer Obsession, die Sadakos Leben aus den Angeln hebt.

Idealisten sollten einen Bogen um Imamuras Werke machen, der von sich selbst sagte, er sei an der Beziehung zwischen dem unteren Bereich des menschlichen Körpers und dem unteren Bereich der Gesellschaft interessiert. Eine einfache Moral oder eine subtile Herangehensweise sind dem Japaner fremd. Wie sein amerikanischer Kollege Sam Fuller übersteigert Imamura das Geschehen bei jeder sich bietenden Gelegenheit und bricht mit Konventionen, um den Finger noch tiefer in die Wunden drücken zu können. Das Publikum kann sich darauf verlassen, dass es für die Protagonisten immer noch schlimmer kommt.

Die Motivation dahinter liegt jedoch nicht im radikalen Effekt, im Gegenteil – Intentions of Murder schildert eine kathartische Läuterung und entpuppt sich sogar als zutiefst humanistischer Film. Der Weg dorthin fordert jedoch seinen Tribut: Von Sadako, die Schreckliches durchmachen wird und von uns Zuschauern, die wir aufgefordert sind, unter erschwerten Bedingungen Geduld und Verständnis aufzubringen.

Imamura nimmt sich viel Zeit, um die japanische patriarchalische Gesellschaft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, eine Kleinfamilie, herunterzubrechen. Er illustriert Sadakos Leben als Gefangenschaft zwischen starren Rollenbildern und Moralvorstellungen, aus denen kein Ausbruch möglich scheint. Die erdrückende Atmosphäre und die kargen Winterbilder vereinnahmen alles Lebendige.

Mittendrin: Sadako, die aus heutiger Sicht unaufgeklärte und vielleicht nicht besonders schlaue Frau, die unser Mitleid erregt, aber keine echte Sympathie. Die Menschen um sie herum gewinnen unsere Abscheu hingegen schnell: Ihr an Tuberkolose erkrankter Ehemann, der sie seit Jahren mit einer Arbeitskollegin betrügt; die griesgrämige Schwiegermutter, die sie ständig an ihren niederen Stand erinnert; der labile und todkranke Vergewaltiger, der perverserweise auch noch behauptet, sich in sie verliebt zu haben.

Ohne empathische Anknüpfungspunkte müssen wir diese Situation ertragen. Dass Intentions of Murder Spaß macht, lässt sich nicht gerade behaupten. Dennoch können Cineasten viel Befriedigung aus diesem Film ziehen. Zu Beginn fesselt Imamura mit seiner messerscharfen Inszenierung, die Schnitt und Perspektivwahl in aufregenden Kombinationen einsetzt und um tolle Kamerafahrten ergänzt. Imamuras verspielte Dynamik aus Pigs and Battleships weicht einer ungleich erwachseneren, meisterhaften Regie.

Die handwerkliche Perfektion erschafft einen filmischen Raum, der offenkundig das reale Leben erschließt, dabei jedoch gekonnt das Innere nach außen kehrt und so das Empfinden seiner Hauptfigur spiegelt. Diese Welt sieht aus wie unsere, doch alles erscheint möglich. Hier können sogar ein Vergewaltiger und sein Opfer in eine abstrakte Beziehung zueinander treten, die beiden hilft. Es entsteht ein Paralleluniversum, wie es nur das Kino kennt.

So stellt sich letztlich Kinomagie ein: Es ist ein Verdienst des Films, dass nicht nur die Protagonistin eine Wandlung durchmacht, sondern auch das Publikum. Irgendwann im Verlauf dieser langen zweieinhalb Stunden erobert Sadako unser Herz dann doch. Plötzlich leiden und fiebern wir mit. Nicht, weil sie plötzlich kluge Dinge tut oder sich überraschend aus ihrer Opferrolle befreit, sondern weil sie ihr Schicksal immer weiter erträgt, wo es uns selbst schon längst unmöglich erscheint.

Die lange Spielzeit macht sich nun bezahlt und Intentions of Murder beweist erst am Ende einen ganz eigenen ungewöhnlichen Humanismus: Während die kranken Männer um Sadako herum langsam dahinsiechen, gehört ihr die Zukunft. In einem Film von Imamura bedeutet diese Hoffnung nicht, dass nun alles gut werden wird; das wird es nie. Sadako wird weiterhin eine Bürde zu tragen haben. Doch sie wird dies dank ihrer außergewöhnlichen Kraft auch noch tun, wenn ihre feindliche Umgebung längst verwelkt ist.

★★★★★☆

Shôhei Imamura

Shôhei Imamura zählt zu den treibenden Kräften der Japanischen Neuen Welle. In seiner mehr als 40-jährigen Karriere beschäftige er sich mit den Schattenseiten der japanischen Gesellschaft und scheute dabei keine Kontroversen. Imamura gab zu Protokoll, besonders “an der Beziehung zwischen dem unteren Bereich des menschlichen Körpers und dem unteren Bereich der Gesellschaft interessiert” zu sein.

Japanische Neue Welle

Als die französische Nouvelle Vague die Filmsprache veränderte, inspirierte sie auch die Regisseure im fernen Japan. Diese brachen nun ebenfalls mit traditioneller Inszenierung und altbackener Themenwahl. Es folgten Arbeiten unterschiedlichster Genres, die sich deutlich gesellschaftskritischer gaben und dazu einer modernen, manchmal sogar radikalen Inszenierung bedienten.