Pale Flower

Ein Film von Masahiro Shinoda

Genre: Drama

 | Strömung: Japanische Neue Welle

 | Erscheinungsjahr: 1964

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Japan

 

Pale Flower erhebt einen Gangsterfilm zur existenziellen Zustandsbeschreibung: Für seinen Klassiker der Japanischen Neuen Welle ließ sich Masahiro Shinoda von europäischen Einflüssen inspirieren und drehte ein pessimistisches mood piece, das einsame Großstadtnächte in elegischen Bildern einfängt.

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Filmkritik:

In Pale Flower folgen wir dem gerade aus dem Gefängnis entlassenen Gangster Muraki, der in sein Syndikat zurückkehrt und feststellen muss, drei Jahre seines Lebens für einen letztlich unbedeutenden Mord verschwendet zu haben. Muraki erkennt nun die Banalität hinter dem Lebenswandel der Yakuza und entfremdet sich von ihm. Im Bewusstsein der eigenen Bedeutungslosigkeit verbringt er ganze Nächte in den Spielhöllen der Stadt – ein Gangster auf Autopilot.

Die Yakuza stehen mit ihren altehrwürdigen Traditionen und strengen Hierarchien sinnbildlich für das konservative alte Japan, weshalb der Gangsterfilm für die jungen Wilden der Japanischen Neuen Welle ein reizvolles Ziel bot. Insbesondere Seijun Suzuki begegnete dem Genre ohne Respekt und dekonstruierte die altmodischen Yakuza zu stilisierten Pop-Art-Karikaturen.

Masahiro Shinoda zählt zu den Gründervätern der Nūberu bāgu, suchte aber im Gegensatz zu Zeitgenossen wie Suzuki, Nagisa Ōshima oder Shôhei Imamura nicht die direkte Konfrontation mit dem Publikum, sondern lebte seine Radikalität in der formalen Gestaltung aus. Schon während seines Studiums setzte sich Shinoda mit dem japanischen Theater auseinander, später arbeitete er als Regieassistent von Yasujirō Ozu an dessen Meisterwerk Tokio in der Dämmerung.

Diese klassische Schule unterschied ihn von seinen Weggefährten und wurde durch sein Interesse an europäischer Kunst noch verstärkt: In Pale Flower verarbeitete Shinoda die Beschreibung trister Großstadtnächte aus Charles Baudelaires Gedichtbandklassiker Blumen des Bösen.

Auch der kalte Ennui aus Michelangelo Antonionis Entfremdungstrilogie kommt in den Sinn, da Muraki beim nächtlichen Glücksspiel eine junge Frau aus vermögenden Verhältnissen (wunderbar enigmatisch: Mariko Kaga) kennenlernt, die ebenfalls dem leeren Eskapismus frönt. Es kommt zu einer platonischen Annäherung, die beiden ungleichen Seelenverwandten langweilen sich fortan gemeinsam.

Pale Flower passt sich diesem Lebensgefühl an und gleitet mit lakonischem Desinteresse durch die Welt der Yakuza. Die Rahmenhandlung bleibt rudimentär und spielt sich abseits des Protagonisten ab. Nur durch wenige Figuren – einem übereifrigen Gangster-Jungspund, dem alten Boss, einem mysteriösen Killer – kommt Muraki mit dem eigentlichen Plot in Berührung.

Stattdessen richtet Masahiro Shinoda den Film voll und ganz auf die melancholische Stimmung aus. Diese greift schnell auf uns Zuschauer über, weil Pale Flower herausragend inszeniert ist. Schon der Auftakt, der im Stil eines Essayfilms die Eindrücke des übervölkerten Tokios mit Murakis Voiceover unterlegt, setzt den Tonfall für den Rest der Spielzeit:

„Menschen sind seltsame Tiere. Wozu lebt jeder einzelne von ihnen? Sie sehen alle aus wie Tote. Was ist so schlimm daran, eines dieser Tiere zu töten?“

Gegenüber anderen Menschen gibt sich Muraki verschlossen, er bleibt durchweg wortkarg und lieferte damit das Vorbild für die lakonischen, ebenso schweigsamen Gangster von Takeshi Kitano. Shinoda strich die Dialoge rigoros zusammen (und erzürnte damit den Drehbuchautor), der Regisseur verließ sich lieber auf die herausragende Bildgestaltung.

Pale Flower spielt fast ausschließlich nachts und taucht Tokio in pechschwarze Bilder, die auch aufgrund der niedrigen Kameraposition deutliche Bezüge zum Film Noir aufweisen. Wie die besten Vertreter der Schwarzen Serie treibt Shinodas Werk die Schwarz-Weiß-Kontraste auf die Spitze: Schlaglichter und Schlagschatten bilden herbe Übergänge, Fülllichter werden kaum eingesetzt. Das Ergebnis ist eine abstrakte Großstadtwelt a la Sin City, die anonym und kalt wirkt.

Einen großen Anteil an dieser Stimmung kommt dem dissonanten Score zu, mit dem Tōru Takemitsu die Entfremdung des Protagonisten greifbar macht. Die Komponistenlegende steigert die nächtlichen Kartenspiele ins Fiebrige und unterbricht das Geschehen immer wieder durch plötzliche Stille. Zudem trägt Takemitsu wesentlich zum tragischen Finale bei, indem er die Mordszene mit einer Opernarie aus Henry Purcells Dido und Aeneas unterlegt – ein damals avantgardistischer Zug, der später von Francis Ford Coppola und Martin Scorsese aufgegriffen werden sollte.

Mit diesem Lamento schließt sich der Kreis für Muraki. Ein alter Hund lernt keine neuen Tricks, ein aus der Zeit gefallener Yakuza fügt sich schweigend in sein Schicksal.

★★★★☆☆

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

Japanische Neue Welle

Als die französische Nouvelle Vague die Filmsprache veränderte, inspirierte sie auch die Regisseure im fernen Japan. Diese brachen nun ebenfalls mit traditioneller Inszenierung und altbackener Themenwahl. Es folgten Arbeiten unterschiedlichster Genres, die sich deutlich gesellschaftskritischer gaben und dazu einer modernen, manchmal sogar radikalen Inszenierung bedienten.