Violence Without a Cause

Ein Film von Kôji Wakamatsu

Genre: Drama

 | Strömung: Pinku eiga

 | Erscheinungsjahr: 1969

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Japan

 

Der Pinku eiga Violence Without a Cause unterscheidet sich von anderen Vertretern der japanischen Strömung: Der Einsatz von Gewalt und Sex erscheint hier weniger selbstzweckhaft, weil Regisseur Kôji Wakamatsu darüber gesellschaftspolitische Fragestellungen eröffnet, die heute relevanter denn je erscheinen.

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Filmkritik:

Nicht von ungefähr erinnert der Filmtitel an Rebel Without A Cause, den Originaltitel des James Dean-Klassikers … denn sie wissen nicht, was sie tun: Wie sein Vorbild erzählt auch Violence Without a Cause von der Orientierungslosigkeit der Jugend. Wakamatsus Werk handelt von drei jungen Männern, die den Zugang zur Gesellschaft verloren haben.

Die drei Protagonisten hausen zusammen in einem winzigen Kabuff und besitzen schlechte Zukunftsaussichten. Neidisch blicken sie auf jene, die Geld haben und Sex bekommen, während sie selbst als unbeachtete Fußnote der Gesellschaft dahinvegetieren. Der Frust der Männer schlägt regelmäßig in Gewalt gegen Frauen um.

Die Inspiration für den Film holte sich Regisseur Kôji Wakamatsu von einigen Studenten, die er schlichtweg nach Ideen für einen Plot in ihrer Lebenswelt fragte. Dieser Pragmatismus ist typisch für den Regisseur, der das Studio Nikkatsu 1965 verlassen hatte, um eine eigene Produktionsfirma zu gründen. Mit dieser künstlerischen Freiheit im Rücken drehte Wakamatsu allein im Jahr 1969 elf Filme.

Trotz des enormen Outputs und der geringen Budgets von oft nur einigen tausend Dollar bereicherte Wakamatsu die japanische Exploitationwelle mit einem spannenden künstlerischen Anspruch. Seine Experimentierfreude mag nichts am Wesen dieser moralisch oft fragwürdigen Filme ändern, mit seinen handwerklichen Sperenzien verleiht er ihnen jedoch eine erfrischende Unvorhersehbarkeit.

Violence Without a Cause sticht aus der umfangreichen Filmografie des Japaners heraus. Wo andere Pinku eigas sich selbstzweckhaft auf entblößte Frauen und Actionszenen fokussieren, scheint Wakamatsu hier keine rechte Lust auf Exzesse zu haben. Das spiegelt sich auch in der Inszenierung wider, die deutlich bodenständiger als gewohnt daherkommt und auf Wakamatsus Markenzeichen – eine wirbelnde Kamera, krasse Wechsel von Schwarz-Weiß zu Farbe und surreale Einschübe – verzichtet.

Stattdessen macht sich der Regisseur einen Spaß daraus, mit unserer Erwartungshaltung zu spielen. Sinnbildlich dafür steht eine Szene, in der die Männer ihre Nachbarn durch ein Loch in der Wand beim Liebesakt beobachten. Unseren Voyeurismus bedient der Kamerablick durch die winzige Öffnung hingegen nicht: Das verwackelte, oft unscharfe Bild lässt nackte Tatsachen allenfalls erahnen.

Mit den typischen Pinku eigas teilt sich Violence Without a Cause also nur die grobe thematische Anlage und die Produktionsbedingungen, ich würde ihn eher in der Nähe des politischen Frühwerks von Nagisa Ôshima verorten.

Wakamatsus Film lässt sich als überspitztes Sozialdrama lesen, dessen Haltung an Michel Houellebecqs kontroversen Roman Ausweitung der Kampfzone (1994) erinnert. In beiden Werken bilden Sex und Geld die universellen Währungen einer liberalen Gesellschaft – im Streben danach entsteht eben jene „Kampfzone“, deren natürliches Gefälle die Menschen am unteren Ende der Ordnung ausgrenzt.

Violence Without a Cause hinterfragt dabei vor allem den Verantwortungsbereich zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft. Ist es die Aufgabe des Einzelnen, seine schlechte Stellung zu ertragen und sich demütig zu integrieren? Oder befindet sich die Gesellschaft in der Pflicht, jedem zu seinem Glück zu verhelfen?

Die drei Protagonisten sehen die Lage eindeutig, sie fühlen sich um ihre gesellschaftliche Teilhabe betrogen. Mit ihrer Gewalt gegen reiche Männer und hübsche Frauen rächen sie sich an der Gemeinschaft; sie brechen die „Spielregeln“, die sie benachteiligen.

Wakamatsu kontert diese Sichtweise und zeigt mehrfach, wie die Figuren ihre Ausweglosigkeit selbst erschaffen: Sie lernen nicht für die Aufnahmeprüfung der Universität und fallen dementsprechend durch; an konstruktiven Studentenprotesten wollen sie nicht teilnehmen; eine ernsthafte Beziehung zu einer Frau ziehen sie nicht in Erwägung.

Die Lethargie der drei ist selbst gemacht, eine Reflexion des eigenen Tuns findet nicht statt. Bequem bestärken sie sich in ihrem Frauenhass und der vermeintlichen Schuld der Welt. In der Dokumentation dieser Verhaltensmuster liefert Violence Without a Cause ein Musterbeispiel für die Entstehung abgeschotteter Meinungsblasen und ihre Auswirkungen. In Zeiten sozialer Medien und anonymer Messageboards erscheint er damit aktueller denn je.

Wakamatsus untypischer Pinku eiga zählt inzwischen zu den wichtigsten Beiträgen der Strömung. Das renommierte Filmmagazin Kinema Junpo zählte Violence Without a Cause zu den 200 besten japanischen Filmen. Er erreichte Platz 146 und liegt damit in Schlagdistanz zu „klassischen“ Meisterwerken wie Die Frau in den Dünen, Tokio in der Dämmerung und When a Woman Ascends the Stairs.

★★★★☆☆

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

Pinku eiga

Pinku eiga benennt eine Strömung japanischer Exploitationfilme, die 20 Jahre lang einen beträchtlichen Marktanteil beanspruchte. Oft mit minimalem Budget gedreht und nur 60 Minuten lang, kommen Pinku eiga („pinke Filme“) mit einem rudimentären Szenario aus und konzentrieren sich auf die Darstellung von Sex und Gewalt. Der Reiz der moralisch fragwürdigen Werke liegt in der exzessiven Inszenierung, die mit Stilregeln bricht und so unvorhersehbar bleibt.