Mann beißt Hund

 

 | Erscheinungsjahr: 1992

 | Jahrzehnt: 1990 - 1999

 | Produktionsland: Belgien

 | Gattung: Mockumentary

Die belgische Mockumentary Mann beißt Hund begleitet einen Mörder durch den Alltag und kontrastiert dessen blutiges Tun durch eine große Portion schwarzen Humor, an dem wir Zuschauer zunehmend ersticken. Das subversive Meisterwerk kommentiert mit größtmöglicher Konsequenz die Abgründe von Reality-TV und die Sensationslust des Publikums.

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Filmkritik:

Mann beißt Hund liefert ein Musterbeispiel für die Immersionskraft einer Mockumentary: Wir erleben das Geschehen direkt durch das Objektiv der Filmkamera, mit der drei Studenten den Serienkiller Ben begleiten. Durch den Wegfall der vierten Wand erhält Ben die Möglichkeit, direkt mit uns zu interagieren. Er plaudert über Nebensächliches, erläutert seine Vorgehensweise und führt live vor, wie man Menschen ermordet, ihre Leichen beseitigt und die Geldverstecke in ihren Wohnungen aufspürt.

Dabei zieht der Film seine Faszination aus dem krassen Gegensatz zwischen dem Tun des Protagonisten und seinem lockeren Auftreten. Ben ist kein Mastermind, sondern ein Durchschnittstyp, der jedermanns Nachbar sein könnte. Er hegt eine schuljungenhafte Begeisterung für eine Vielzahl von Themen und ist ein jovialer Dampfplauderer, der überall Anschluss findet. Die stets gut gelaunte Schalkhaftigkeit des brillanten Benoît Poelvoorde drängt die Bluttaten regelrecht ins Nebensächliche.

Mann beißt Hund spielt diesen Effekt fulminant aus: Indem er den Protagonisten ins Zentrum stellt, degradiert er die Morde zum absonderlichen Hobby, sie werden über die gesamte Spielzeit hinweg als völlig selbstverständlich konnotiert. Ben sagt Sätze wie

„Am Monatsanfang gönne ich mir immer einen Briefträger.“

ohne dafür hinterfragt zu werden. Das Filmteam nimmt keinerlei Distanz zum Geschehen ein – es filmt die Morde, wie sie fallen. Angeleitet von diesen beiden Instanzen lassen auch wir uns bereitwillig von der Faszination des Bösen hypnotisieren.

Das fällt umso leichter, weil Mann beißt Hund einen konstanten Unterhaltungswert generiert, den nicht einmal die Brutalität der Morde trüben kann. Der Film hält uns durch seine hohe Schlagzahl ständig auf Spannung: Er verzichtet auf einen zusammenhängenden Plot und erzählt in vielen kurzen Episoden, sodass wir beständig neue Kicks bekommen. Dazu gesellt sich ein schwarzer Humor, der den Dialogen eine ironische Ebene hinzufügt und selbst ernste Situationen durch dezenten Slapstick unterläuft.

Die grobkörnige Schwarz-Weiß-Ästhetik befeuert den irrealen Eindruck zusätzlich. Es ist bemerkenswert, wie das Regisseurstrio die Nachteile ihrer Low-Budget-Produktion in einen Vorteil verwandelt: Gerade die Imperfektionen von Bild und Ton verleihen Mann beißt Hund eine Unmittelbarkeit, der wir uns kaum entziehen können.

Da erscheint es wenig verwunderlich, dass die Billig-Produktion sogar zu den Filmfestspielen von Cannes eingeladen wurde, wo sie den Preis der Internationalen Kritik gewann. Mann beißt Hund provozierte aber auch negative Reaktionen, balanciert er doch auf einem schmalen Grat zwischen subversivem Humor und bloßem Zynismus.

Dabei muss allerdings zwischen der Haltung des Films und des Antihelden unterschieden werden. Mann beißt Hund gibt uns reichlich Gelegenheit, Bens Fassade zu durchschauen und uns nicht komplett vereinnahmen zu lassen. Insbesondere in der zweiten Filmhälfte gilt: Je länger Ben redet, desto mehr konterkariert er sich. Gerade hinter vermeintlich verständnisvollen Sätzen treten deutliche Ressentiments gegen Frauen, Homosexuelle und Ausländer zutage.

Die Filmcrew hat zu diesem Zeitpunkt bereits keine Chance mehr, sich zu distanzieren. Ihr Versuch, die Realität zu dokumentieren, endet damit, dass sie sich in ihrer Medien-Realität verlieren. Diese Entwicklung ist von Beginn an abzusehen: Es dauert keine 15 Minuten, da helfen sie Ben schon aktiv beim Wegtragen einer Leiche. Später wird das Geld der Opfer die Fortsetzung der Dreharbeiten ermöglichen – Ben steigt vom Hauptdarsteller zum Produzenten auf.

Ohnehin bestimmt der Killer die Produktion – sein ungekünsteltes Selbst durchläuft eine Veränderung, er nimmt sich immer stärker als Protagonist eines Films wahr und versucht, das mediale Bild seiner selbst zu formen. Dabei entgleitet ihm sein wirkliches Ich: Zunehmende Kontrollverluste entlarven ihn als Psychopathen, der im Versuch, sein Medienabbild aufzuwerten, immer neue Eskalationsstufen erreicht.

Die sich zunehmend selbst zersetzende zweite Filmhälfte verdeutlicht, dass Mann beißt Hund die Idee der Serienkillerdoku nutzt, um grundsätzliche Überlegungen zu den Wechselwirkungen des Mediums anzustellen. Der Film illustriert die Unmöglichkeit medialer Objektivität, die Diskrepanz zwischen Realität und ihrem medialen Abbild sowie die Beziehung zwischen den Medienproduzenten und ihren Mediensubjekten.

Die unangenehmste Seite des Films richtet sich jedoch gegen uns Zuschauer, denn die Wechselwirkung zwischen Medien und ihren Konsumenten erfahren wir am eigenen Leib. Egal, wie weit gefasst unser Humorverständnis ist – spätestens in der Szene, in der Ben und das komplette Team eine Vergewaltigung durchführen und ihr Opfer anschließend regelrecht zerfleischen, hält der Film unserer Sensationslust unbarmherzig den Spiegel vor.

Damit steht Mann beißt Hund in einer Reihe mit Natural Born Killers und Funny Games, die sich ebenfalls mit der Faszination medialer Gewalt und unserer Suche nach dem nächsten Kick beschäftigen. Doch wo Oliver Stone und Michael Haneke uns zu Voyeuren machen, geht Mann beißt Hund noch konsequenter vor: Er macht uns zu bestens unterhaltenen Mittätern.

★★★★★★

1990 – 1999

In den Neunziger Jahren wurden Filme ein Objekt der Popkultur. Die amerikanische Vermarktung erhob Blockbuster zum Massenphänomen, das weit über den Filmkonsum hinaus ging. Zeitgleich bildeten eine lebendige Independentfilmszene und ein erstarktes Arthousekino den Gegenpol. Auch dank der VHS-Kassetten entwickelte das Medium Film eine ungeahnte Vielfalt.

Mockumentary

Das Wort Mockumentary setzt sich aus zwei Begriffen zusammen – aus Documentary, also dem Dokumentarfilm, sowie dem Verb (to) mock, das „vortäuschen“ bedeutet. Mockumentaries sind also fiktive Dokumentationen, die vortäuschen, echt zu sein. Regisseure nutzen dieses Format wahlweise als ungewöhnliches narratives Mittel (bspw. in fiktiven Biographien) oder für deutlich ernstere Stoffe, die besonders eindringlich an den Zuschauer appellieren sollen.