Rubber

Ein Film von Quentin Dupieux

Genre: Komödie

 

 | Erscheinungsjahr: 2010

 | Jahrzehnt: 2010 - 2019

 | Produktionsland: Frankreich

 

Rubber mag von einem Autoreifen handeln, der mittels psychokinetischer Kräfte erst Kleintiere und später auch Menschen schlicht zerplatzen lässt, doch Obacht: Einen launigen Trashfilm bekommt der Zuschauer hier nicht geboten. Der dritte Film von Quentin Dupieux nutzt seinen wahnwitzigen Killerpneu nicht für kurzweiligen Eskapismus, sondern eröffnet eine medientheoretische Abhandlung.

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Filmkritik:

Um Filme genießen zu können, schließen wir einen Deal mit ihnen ab – wir tun so, als wäre ihre Version der Realität korrekt und übersehen geflissentlich etwaige Plausibilitätsschwächen, solange diese unwesentlich ausfallen. Deswegen stört es uns nicht, dass der Actionheld in der Öffentlichkeit um sich schießt und nie nachladen muss oder dass Figuren erfolgreich spätere Treffen vereinbaren, ohne Ort und Zeit genau auszumachen.

Dieser Vorgang ist bekannt als suspension of disbelief (oder, weniger geläufig auf Deutsch: willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit). Ein weiterer Aspekt fällt auch unter diesen Begriff: Filme verkürzen Unwichtiges, liefern uns oft nur Handlungshäppchen und lassen uns die leeren Stellen mit eigener Imagination auffüllen – wir wissen, dass der Held auch ab und an aufs Klo geht, deshalb muss der Film es uns nicht zeigen. Summa summarum: Solange ein Werk unser suspension of disbelief nicht fahrlässig sprengt, können wir uns zurücklehnen und ihn genießen.

Hier kommt nun Rubber ins Spiel, der genau das tut, was andere Filme vermeiden: er bricht ganz in der Tradition des Brecht’schen Theaters mit allen narrativen Prinzipien und betont bei jeder Gelegenheit, dass alles nur eine Illusion ist. Direkt in der Eröffnungsszene lässt er einen der Protagonisten die vierte Wand durchbrechen und spricht direkt den Zuschauer an; dieselbe Figur wird später auch Sätze aus dem Drehbuch vorlesen oder sich mutwillig und folgenlos erschießen lassen; zudem installiert Dupieux eine Kontrollgruppe aus „Zuschauern“ direkt im Film, die die Geschehnisse genau wie wir verfolgen und kommentieren.

Letztlich greift Rubber also unser konditioniertes Sehempfinden an und erklärt ihm den Krieg, doch faszinierenderweise wehrt sich unser Gehirn automatisch dagegen und kämpft darum, sich die Illusion nicht kaputtmachen zu lassen. Es ist erstaunlich, wie wir fortwährend fortfahren, die vorgelegten Handlungsfetzen zu einem Plot aneinanderzureihen, den die unzähligen Illusionsbrüche eigentlich gar nicht ermöglichen. Damit sehen wir einen Film, der eigentlich gar nicht existiert.

Einen interessanten postmodernen Diskurs bekommt das Publikum also geboten, doch die Arbeit hat dann der Zuschauer, ohne für sein Engagement belohnt zu werden. Zurück bleibt ein unbefriedigendes Gefühl, denn Rubber gibt letztlich wenig und selbst das Killerreifenkonzept nutzt sich relativ schnell ab. Die im Eröffnungsmonolog propagierte reine Willkür sollte derweil nicht missverstanden oder gar als Ausrede angeführt werden; tatsächlich hat das Filmemachen so gar nichts mit Willkür zu tun.

★★★☆☆☆

Komödie

Die Komödie zählt zu den Grundfesten des Kinos und funktioniert – wie auch der Horrorfilm – affektgebunden. Deshalb bringt uns der Slapstick aus den Stummfilmen von Charlie Chaplin genauso zum Lachen wie die rasenden Wortgefechte der Screwball-Komödien aus den Dreißiger Jahren, die spleenigen Charaktere von Woody Allen oder die wendungsreichen Geschichten von Billy Wilder.