Schlacht um Algier
Ein Film von Gillo Pontecorvo
Schlacht um Algier fügt dem Genre des Antikriegsfilms eine ungewöhnliche Facette hinzu: Gillo Pontecorvo schildert den algerischen Unabhängigkeitskampf ohne konventionelle Handlung und Helden. Stattdessen setzt der Regisseur auf einen nüchternen Realismus, der an alte Wochenschauen erinnert und durch seine authentische Stimmung fesselt.
Filmkritik:
Zu Beginn von Schlacht um Algier erleben wir, wie die „Nationale Befreiungsfront“ FNL die Befreiung ihres Heimatlandes vorbereitet. Mit gezielten Attentaten auf Beamte der französischen Kolonialverwaltung tritt die FNL einen asymmetrischen Krieg los, der die Hauptstadt Algier in ein Krisengebiet verwandelt. Die französische Regierung gibt nicht nach, sondern schickt den renommierten Colonel Mathieu, um den Aufstand der FNL niederzuschlagen.
Gillo Pontecorvo erzählt diesen Konflikt ohne eine klassische Dramaturgie und verzichtet auch auf eine detaillierte Figurenzeichnung. Der französische Colonel und einige algerische Widerstandskämpfer spielen zwar eine wichtige Rolle, doch wir erleben die Akteure stets von außen; ihre private Seite und ihre innere Überzeugungen enthält uns der Film vor.
Indem sich Schlacht um Algier von etwaigen Helden und einer an sie gebundenen Erzählung freimacht, kann sich Gillo Pontecorvo aus einer ambivalenten Position durch den Konflikt bewegen. Statt Einzelschicksale von Protagonisten in ein dramaturgisches Korsett zu pressen, konzentriert sich der italienische Regisseur auf das Gesamtbild und schildert den Krieg in Algier in vielen kleinen Episoden, die sich über mehrere Jahre erstrecken.
Die Darreichung des Geschehens erinnert an die Vertreter des Italienischen Neorealismus und alte Wochenschauen: Pontecorvo drehte an Originalschauplätzen in Algeriens Hauptstadt und setzte auf eine realistische Inszenierung. Grobkörniges Schwarz-Weiß und die Unmittelbarkeit von Handkameras erzeugen eine große Authentizität, die durch den Einsatz von Laiendarstellern und stimmungsvolle Massenszenen noch gesteigert wird.
Dennoch mutet Schlacht um Algier nie wie ein Dokumentarfilm an, sondern bleibt durchgängig spannend. Dank einer ordentlichen Portion Suspense bindet Pontecorvo unser Interesse auch ohne konventionelles Storytelling. Zu den stärksten Sequenzen des Films zählt ein Bombenanschlag dreier algerischer Frauen. Sie müssen die Kontrollen passieren und mit tickenden Zeitzündern in das französische Viertel vordringen, um ihre todbringenden Taschen an öffentlichen Orten zurückzulassen.
Momente wie diese erzeugen ihre Spannung nicht nur im Sinne eines Genrefilms, sondern fordern uns zusätzlich heraus: Naturgemäß fiebern wir mit den Frauen und ihrer Mission mit, gleichzeitig wissen wir aber auch, dass ihr (notwendiger?) Einsatz zahllose Zivilisten töten wird. Schlacht um Algier entschärft diesen Gewissenskonflikt nicht und verweigert uns Erleichterung: Wenn die Bomben explodieren, zeigt er ungeschönt die Opfer.
Derartige Szenen offenbaren, dass Pontecorvo zwar grundsätzlich mit dem Unabhängigkeitskampf der Algerier sympathisiert, sich aber der komplexen Situation bewusst ist. Er zeigt die Gräueltaten beider Seiten und verdeutlicht anhand seines unabhängigen Blickwinkels die universelle Dialektik des Krieges.
Die Gewalt des Films startet mit einem Franzosen, der einem Algerier ein Bein stellt. Gefühle schaukeln sich hoch, irrationaler Hass entsteht. Später sehen wir, wie aus einem Anschlag mehrere werden; auf Schüsse folgen Bomben, auf tote Soldaten ermordete Zivilisten. Aus seiner unparteiischen Position heraus beschreibt Schlacht um Algier die kalte Logik des Krieges wie einen Strudel, der beide Seiten in den Abgrund zieht.
Begriffe wie Recht und Gerechtigkeit verlieren dabei zunehmend ihre Bedeutung. Szenen wie das bereits erwähnte Bombenattentat mögen sich individuell beurteilen lassen, im großen Gesamtkontext erscheint das jedoch unmöglich. So ging dem Attentat der drei Frauen eine Bombe der Franzosen voraus. Alles ist hier eine Reaktion auf eine Reaktion auf eine Reaktion. Der Film verdeutlicht, dass die Situation nicht durch noch mehr Gewalt, sondern nur einen demokratischen Prozess aufgelöst werden kann.
Für sein schon drei Jahre nach Kriegsende gedrehtes Werk erhielt Gillo Pontecorvo 1966 bei den Filmfestspielen von Venedig den Goldenen Löwen. Aufgrund seiner eigentlich gegensätzlichen Mischung aus dokumentarischer Übersicht und fesselnder Distanzlosigkeit zählt Schlacht um Algier zu den unkonventionellsten Antikriegsfilmen – und zu den besten.
★★★★★☆
1960 – 1969
Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.
(Anti)Kriegsfilm
Obwohl das Genre auf ein spezifisches Thema festgelegt ist, bieten sich dem Betrachter eine Vielzahl Subtexte und Motive. Während Kriegsfilme sich vornehmlich auf Abenteuer, Kameradschaft und Heldenmut konzentrieren, eröffnen sich im Antikriegsfilm eine Vielzahl von Themen: Moral und Menschenrechte, der Horror und die Absurdität des täglichen Grauens oder die perverse Systematik dahinter.