Kids

Ein Film von Larry Clark

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1995

 | Jahrzehnt: 1990 - 1999

 | Produktionsland: USA

 

Als Kids im Jahr 1995 erschien, schockte der Debütfilm von Larry Clark zahllose Eltern. Das Porträt einer Gruppe orientierungsloser Jugendlicher, die sich die Zeit mit ungeschütztem Sex, Alkohol und Drogen vertreiben, ohne an morgen zu denken, traf wirkungsvoll den Zeitgeist und sorgte für heftige Kontroversen.

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Filmkritik:

Dank einer Förderung durch Gus van Sant, der zu Beginn seiner Karriere selbst drei Werke über junge Erwachsene zwischen Drogen und Hoffnungslosigkeit drehte (Mala Noche, Drugstore Cowboy und My Private Idaho), konnte Clark seine Fotografenkarriere in bewegten Bildern fortschreiben. Er engagierte einen hochgelobten jungen Drehbuchautor, der noch bei seiner Mutter wohnte, und tat damit einen Glücksgriff – es handelte sich um Harmony Korine, der später mit Spring Breakers eine fantastische Regiearbeit vorlegen sollte.

Auch die Darsteller fand Clark auf der Straße und sein Gespür für Talente zahlte sich erneut aus. Unter den Laiendarstellern befanden sich Chloë Sevigny (American Psycho, The Brown Bunny, Dogville) und Rosario Dawson (Sin City, Death Proof), die dank Kids als Schauspieler Fuß fassen konnten.

Bereits die Eröffnungsszene erweist sich als effektvoll: Clark zeigt zwei Münder beim Zungenkuss, in Großaufnahme, eine halbe Minute lang. Die Münder gehören dem 16-jährigen Telly und einem 12-jährigen Mädchen. Er möchte Sex, sie eher nicht. Er beteuert die Aufrichtigkeit seiner Gefühle und verspricht, es würde nicht wehtun und viel Spaß machen.

Sein Werben hat Erfolg; während das Mädchen noch sagt, dass es doch wehtut, setzt ein Voice-Over ein, in dem Telly von „Knacken“ von Jungfrauen schwärmt und von den Vorzügen der unberührten Mädchen, von denen er schon einige hatte. Die Szene vermittelt gekonnt die alltäglichen Umstände, in denen diese zwei unmündigen Menschen einen fatalen Fehler begehen, löst unsere Abwehrreflexe aus und erzeugt ein Gefühl der Ohnmacht.

Etwaige Schuldfragen verhandelt Kids allerdings nachrangig; Clark besitzt kein Interesse daran, eine konventionelle Geschichte aufzuziehen und Moral zu predigen. Viel mehr wagt sich der Regisseur an die Bestandsaufnahme einer Generation von Abgehängten. Durch einige Zuspitzungen erhält sein Porträt zwar einen kritischen Charakter, bewegt sich dabei jedoch stets auf Augenhöhe mit seinen Figuren, anstatt auf sie herab zu blicken und sie von vorneherein zu verurteilen. Clark traut es seinem Publikum zu, die vielen Ambivalenzen ohne vorgegebene Haltung zu reflektieren.

Seine immense Wirkung entfaltet der Film gerade aufgrund der ungekünstelten Herangehensweise und der Nähe zu seinen Figuren, an denen die Kamera stets haftet. Statt ausgestalteter Szenen setzte Clark auf Improvisation und entwickelte einen Erzählfluss ohne Plot Points, der sich ganz dem Gefühl der Jungdarsteller verschreibt und in jedem Moment Authentizität atmet. Die rüde Sprache der Jugendlichen, der Schauplatz New York und das Klima der Neunziger Jahre formen ein Sommerferien-Amalgam. Diese spezielle Version der Teenagerwelt befreien Korine und Clark von allen Autoritäten. Indem sie die Eltern der Protagonisten aussparen, schenken sie ihren Figuren die völlige Freiheit.

Doch die Selbstbestimmung, die von der Jugend der Fünfziger Jahre noch erträumt und erkämpft wurde, wird in den Neunzigern verschwendet. Die Jugendlichen in Kids besitzen keine gemeinsame Philosophie, keine Ziele und kein Wertesystem, sie leben im Limbus der Gleichgültigkeit. Ihre orientierungslose Freiheit muss sich zwangsläufig gegen sich selbst richten und in Selbstzerstörung enden.

Zu den Stärken des Films zählt jedoch auch, dass Clarks Blick bei aller Kritik ein empathischer ist. Zwei tolle Szenen, in denen jeweils eine Gruppe männlicher und eine Gruppe weiblicher Jugendlicher über das Wesen und die Eigenarten von Sex sprechen, eröffnen nicht nur eine grundsätzlich lebensbejahende Weltsicht, sondern befreien die Teenager auch aus Opfer- und Täterrollen und gestatten ihnen eine ihrem Alter entsprechende spielerische, neugierige Sicht auf ihr Leben.

Obwohl die zweite Filmhälfte deutlich vom Fatalismus des HIV-Virus geprägt wird, findet Kids mit der von Sevigny gespielten Jennie eine Bezugsperson, die eine spannende Entwicklung ins Erwachsenenstadium durchmacht. In ihrem Handlungsstrang entwickelt sich eine diffuse Hoffnung auf Besserung und ihre Suche nach Telly trägt in sich das Versprechen, auch ihn und seine Clique vor weiteren Fehlern bewahren zu können.

Wenn beide schließlich im Finale aufeinandertreffen, potenziert sich die Tragik des Films. Die Missstände dieser Generation, ihrer Eltern und der Gesellschaft fordern den fälligen Tribut. Schon Shakespeare wusste: So wilde Freude nimmt ein wildes Ende.

★★★★★☆

Larry Clark

Erst im Alter von 50 Jahren betrat der Fotograf Larry Clark die Filmszene. Seitdem dreht er ausschließlich Filme, die vom Leben Jugendlicher handelt. Immer wieder schildert er den Eskapismus der Teenager, die mit Sex und Drogen aus ihrem tristen Alltag entfliehen. Clarks Konsequenz sorgte regelmäßig für Skandale, doch diese beweisen eben auch, dass der Regisseur den Zeitgeist traf.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.