Händler der vier Jahreszeiten
Ein Film von Rainer Werner Fassbinder
Genre: Drama
| Strömung: Neuer Deutscher Film
| Erscheinungsjahr: 1972
| Jahrzehnt: 1970 - 1979
| Produktionsland: Deutschland
Mit Händler der vier Jahreszeiten begann Rainer Werner Fassbinder eine neue Schaffensphase. Inspiriert von seinem Vorbild Douglas Sirk, passte der Autorenfilmer seinen Stil an und erzielte damit den erhofften Durchbruch beim breiten Publikum. Der Film erwies sich als Prototyp für eine Reihe von Melodramen, die inzwischen zu Fassbinders essenziellen Arbeiten gezählt werden.
Filmkritik:
In Händler der vier Jahreszeiten betrachtet Fassbinder den Werdegang des Obsthändlers Hans Epp, der mit seinem Verkaufskarren durch die Hinterhöfe Münchens zieht. Epp ist des Lebens müde, er trinkt zuviel und verprügelt seine Frau. Erst ein Herzinfarkt rückt die Perspektive zurecht – Hans und seine Frau Irmgard starten einen letzten Versuch, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen.
Der Konflikt zwischen persönlichem Glück und den Ansprüchen der Umwelt zählt zu den Leitmotiven des Melodrams. Diese Spielart des Kinos erlebte in den Fünfziger Jahren eine Renaissance, die ein deutscher Regisseur maßgeblich anschob. Der nach Hollywood emigrierte Douglas Sirk, als Hans Detlef Sierck in Hamburg geboren, erarbeitete sich durch Klassiker wie Was der Himmel erlaubt und Es gibt immer ein Morgen einen Ruf als Meister des Melodrams.
Rainer Werner Fassbinder entdeckte Sirks Schaffen durch eine Retrospektive des Filmmuseums München, als er gerade eine neunmonatige Auszeit nahm. Die untypische Pause des Regisseurs, der in zwei Jahren zehn Filme gedreht hatte, markiert den Übergang vom Früh- zum Hauptwerk und brachte eine entscheidende Stiländerung mit sich.
Bis dahin galt Fassbinder als Festivalregisseur, dessen Filme sich an Kritiker statt an ein breites Publikum richten. Mit ihrer unbequemen Strenge (Katzelmacher, Warum läuft Herr R. Amok?) und ihrer Abstraktheit (der Gangsterfilm Liebe ist kälter als der Tod, der Sado-Maso-Western Whity) spielten Fassbinders Filme weit abseits der Erfahrungswelt der Zuschauer.
Fassbinder war sich dessen bewusst und suchte nach einem Weg, Filme für das Publikum zu drehen, ohne seine künstlerische Durchschlagskraft einer kommerzielleren Prägung unterzuordnen. Die Arbeiten von Douglas Sirk öffneten Fassbinder die Augen: Er schrieb einen begeisterten Aufsatz („Ich habe sechs Filme von Sirk gesehen. Es waren die schönsten der Welt dabei.“) und startete in eine neue Schaffensphase, die ihm den erhofften Durchbruch bescherte.
Wie Sirks Filme spielt auch Händler der vier Jahreszeiten in den Fünfziger Jahren, im Makroklima des Wirtschaftswunders. Doch der Boom ist kein ökonomisches Perpetuum mobile, sondern unterliegt den Regeln des Kapitalismus – alle können reich werden, aber nicht jeder. Auf jeden Gewinner kommen zwangsläufig auch Verlierer.
So einer ist der Obsthändler Hans Epp. Zur Tragik des Films gehört, dass Epp nicht an seinen eigenen Ansprüchen scheitert, sondern an denen von anderen. Er selbst wollte nie hoch hinaus; die Erwartungshaltung bauten stets Dritte – seine Mutter, seine frühere Freundin und seine Ehefrau – auf. Händler der vier Jahreszeiten ist ein Film über einen, dem der Zugang zur bürgerlichen Gesellschaft verwehrt wird, weil er sich nicht von ihrer Ideologie vereinnahmen lassen will.
Wie in früheren Arbeiten kritisiert Fassbinder die kleinbürgerlichen Ressentiments und stellt die gegenseitige emotionale Ausbeutung der Figuren heraus. Thematisch blieb sich der Regisseur mit diesem Sujet treu; der plötzliche Erfolg von Händler der vier Jahreszeiten resultiert nicht aus inhaltlichen Kompromissen, sondern lässt sich auf einen Wechsel im Tonfall zurückführen.
Fassbinder inszeniert sein Szenario nicht länger als kalte Versuchsanordnung, auch der offene Sarkasmus, mit dem er seinen Figuren oft begegnete, ist passé. Der Einfluss von Douglas Sirk offenbart sich in der größeren Ambivalenz der Protagonisten, denen sich Fassbinder nun deutlich verständnisvoller nähert. Der Filmemacher lässt uns erahnen, dass die Protagonisten sich in ihren besten Momenten selbst erkennen und im Alltag nicht so sind, wie sie gerne sein würden.
Zudem verlagert der Regisseur eine Teilverantwortung von den Figuren weg und hin zu ihrer Umgebung. In Katzelmacher etablierten die Protagonisten ihr repressives Milieu noch selbst, in Händler der vier Jahreszeiten erscheinen sie hingegen als Gefangene dieser kleinbürgerlichen Welt, die sie nicht länger gestalten können.
Dazu passt das gestelzte Schauspiel der Darsteller, das ihren Figuren etwas Marionettenhaftes verleiht und sie geradezu fremdgesteuert wirken lässt. Das im Melodram typische „Nicht aus der eigenen Haut-Können“ verwandelt Fassbinder in ein „Nicht aus dem Milieu-Können“, das zu den wichtigsten Motiven späterer Werke wie Faustrecht der Freiheit oder Lola zählt.
Und so erweist sich Händler der vier Jahreszeiten trotz eines empathischeren Stils als typischer Fassbinder-Film, in dem die Menschen dazu verdammt sind, sich gegenseitig zu zerstören, um ihren Frieden zu finden. Wie dieser aussieht, entlarvt die wunderbare letzte Szene des Films: Frieden, das ist kalte Geschäftsmäßigkeit; für echte Gefühle bleibt da kein Platz.
★★★★☆☆
Rainer Werner Fassbinder
Rainer Werner Fassbinder zählt zu den wichtigsten deutschen Regisseuren und gilt als Vorreiter des Neuen Deutschen Films. Fassbinder lebte für das Kino und arbeitete ununterbrochen. Obwohl er mit nur 37 Jahren starb, umfasst seine Vita mehr als 40 Spielfilme und zwei TV-Serien. Der Regisseur vereinte seine Vorliebe für Genrefilme und Melodramen mit klugen, oft kritischen Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen.
Neuer Deutscher Film
Der Neue Deutsche Film grenzte sich vom populären Unterhaltungskino ab. Die Regisseure der Strömung arbeiteten unabhängig von den Studios und drehten als Autorenfilmer Werke mit vornehmlich gesellschaftlichen und politischen Bezügen. Neben der inhaltlichen Neuorientierung suchte der Neue Deutsche Film auch nach anderen Ausdrucksformen und setzte dem konventionellen Kino sowohl poetischere als auch radikalere Bilder entgegen.