Der Einzelgänger
Ein Film von Richard Wilson
Obwohl es sich bei Der Einzelgänger um einen lupenreinen B-Western handelt, der 1955 während der Hochzeit des amerikanischen Edelwestern entstand, bildet er den ersten Mosaikstein für den heftigen Umbruch des Genres, den Samuel Fuller mit Vierzig Gewehre bereits zwei Jahre später andeutete und der schlussendlich von Sergio Leones Italowestern Für eine Handvoll Dollar gänzlich losgetreten wurde.
Filmkritik:
Festgemacht werden kann dieser Umstand vor allem anhand der einmaligen Hauptfigur von Der Einzelgänger. Wo die von John Wayne oder James Stewart gespielten Helden des Edelwestern trotz allen raubeinigen Charmes noch als Männer der Moral agierten und die Antihelden des Italowestern um Clint Eastwood und Franco Nero kaltblütig aus Eigennutz handelten, vereint der Protagonist von Der Einzelgänger Attribute beider Archetypen und zählt damit aus filmhistorischer Sicht zu den interessantesten Figuren des Genres.
Clint Tollinger kommt in Städte, um Probleme zu lösen und ist – das deutet der Originaltitel Man with the Gun bereits an – ein Pragmatiker. Er lässt sich als Sheriff anheuern und zwingt den Unruhestiftern seine Methoden auf. Sein gesamtes Tun richtet sich auf Funktion und Ökonomie aus. Er gibt Hinweise und reagiert, wenn diese nicht beachtet werden, unnachgiebig und kompromisslos, was unweigerlich zu tot im Staub liegenden Gesetzesbrechern führt.
Doch obwohl Tollinger mit der Gefühlskälte eines Antihelden agiert, ist der neue Marshall doch ein gutes Stück von den wortkargen Protagonisten des Italowesterns entfernt. Er stellt zwar nicht die Jovialität einer Figur von John Wayne zur Schau, wirkt jedoch vordergründig nett, lässt Damen den Vortritt und schweigt zu Themen, bei denen er anderer Meinung ist (wobei Letzteres freilich als Höflichkeit ausgelegt werden kann, aber auch schlicht als rein ökonomische Entscheidung).
Einerseits trägt Tollinger einen Sherriffstern und verpflichtet sich mittels Eides dem Gesetz, andererseits trägt er seine Revolver wie ein Desperado. Er vertritt die öffentliche Ordnung, entfernt sich dabei jedoch immer mehr vom klassischen Heldentypus, verlangt umfassende Freiheiten, provoziert und tötet in einer zentralen Szene des Films sogar einen wehrlosen Schurken, wie es kein Held vor ihm getan hätte – ein eindeutiges Zeichen für den Beginn einer Umbruchphase des Genres und eine prägende Vorlage für nachfolgende gesetzesbrechende Gesetzeshüter wie beispielsweise Clint Eastwoods Dirty Harry.
Zur Besetzung des Hauptdarstellers kann man den Produzenten nur gratulieren, mit Robert Mitchum trafen sie die perfekte Wahl. Mitchums Ambivalenz und seine kantige Physis prädestinieren ihn geradezu für eine Rolle, die sich Kategorisierungen entzieht.
Das Drehbuch ist sich der Stärke seines Protagonisten wohl bewusst und drapiert die simple Handlung um ihn herum: Ein mächtiger Großgrundbesitzer drangsaliert eine kleine Stadt, die daraufhin Tollinger anheuert. Dessen erste Aufräumaktionen nehmen einen Großteil der Spielzeit in Anspruch und unterhalten gut, während ein cleverer Clou das Suspenselevel nach oben schraubt: Der von den Städtern mehrfach für seine perfide Intelligenz gerühmte Oberschurke selbst bleibt nahezu unsichtbar und residiert außerhalb von Tollingers Zugriff.
Im mit Spannung erwarteten Finale verschenkt Der Einzelgänger leider einen gehörigen Teil seines Potenzials, wenn er seinen so lange angekündigten Schurken endlich auftauchen lässt und dieser sich aller zuvor beschworenen Intelligenz zum Trotz zu einer hanebüchenen Entscheidung entschließt, die sein Schicksal besiegelt. Hier scheint der bis dato progressive Film sich dann doch final zu den Konventionen des Edelwesterns zu bekennen.
Abgesehen von dem ärgerlichen Finale serviert Der Einzelgänger gute Unterhaltung. Mit seinen begrenzten Mitteln erzeugt Regisseur Richard Wilson einige Spannung; inszenatorisch und inhaltlich bleibt es bei solidem Genredurchschnitt, über den die hochgradig ambivalente Hauptfigur den Film letztlich hebt.
★★★★☆☆
1950 – 1959
In den Fünfziger Jahren befanden sich die weltweiten Studiosysteme auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft. In den Vereinigten Staaten, Japan und Frankreich versammelten die Studios eine ungeheure Menge an Talent und veröffentlichten dank des geballten Produktionsniveaus zahllose Meisterwerke. Einen gewichtigen Anteil daran ist auch den Regisseuren zuzuschreiben, die sich innerhalb des Systems Freiheiten erkämpften und so ihr Potenzial ausspielen konnten.
Western
Der Western erreicht seine größte Popularität in den Fünfziger Jahren. Der Hang zum Reaktionären ließ das Genre dann zunehmend in eine Krise schlittern, bevor der Italowestern das Genre Mitte der Sechziger zur neuen Blüte trieb. Das gesellschaftskritische New Hollywood-Kino dekonstruierte den Western weiter. Heutzutage findet das Western-Setting sowohl für blutige Genrefilme als auch für Kunstfilme Verwendung.