Briefe eines Toten

 

 | Erscheinungsjahr: 1986

 | Jahrzehnt: 1980 - 1989

 | Produktionsland: Russland

 

Der russische Klassiker Briefe eines Toten entwirft ein beängstigendes Endzeitszenario und schildert die Zustände nach einem globalen Atomkrieg. Trotz der kompromisslosen Inszenierung bewahrt sich der Film von Konstantin Lopuschanski einen humanistischen Kern.

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Filmkritik:

Briefe eines Toten setzt nach der atomaren Apokalypse ein und notiert nur in Bruchstücken, was zuvor geschah: Ein Computerfehler und ein verschütteter Kaffee lösen den Abschuss von Atomraketen aus, die Reaktion der Gegenseite erfolgt prompt, binnen 14 Minuten ist das Leben auf der Erde weitestgehend ausgelöscht.

Die verbliebene Menschheit verschanzt sich in Bunkern und den Kellern großer Gebäude. In den Gewölben eines Museums haust eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter, zu denen auch ein namenlos bleibender Professor zählt. Er ist die Hauptfigur von Briefe eines Toten, pflegt seine von der Strahlenkrankheit gezeichnete Frau und schreibt Briefe an seinen Sohn Erik, der mutmaßlich im nuklearen Feuer verbrannt ist.

Für die visuelle Gestaltung dieser Albtraumwelt setzte Regisseur Konstantin Lopuschanski auf via Duplexverfahren bearbeitete Bilder. Um den Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Erhabenheit auszutreiben, fügt Lopuschanski ihnen einen gelb-braunen Farbton hinzu – das Geschehen erhält dadurch eine schmutzige, „verstrahlte“ Note.

Für dystopische Filme erfreute sich dieser Effekt damals einer großen Beliebtheit: Einige Jahre vor Lopuschanski nutzte ihn schon Lars von Trier für die aus den Fugen geratene Welt seines bemerkenswerten Debütfilms The Element of Crime. Als Inspirationsquelle für beide Werke diente Andrei Tarkowskis Stalker, der die Bilder außerhalb der magischen Zone in tristes Brom tauchte.

Tarkowskis Einfluss ist über die gesamte Spielzeit von Briefe eines Toten zu spüren, wobei es sich nicht um einen Zufall handelt. Lopuschanski wirkte als Regieassistent an Stalker mit und arbeitete später mit Boris Strugazki am Drehbuch seiner eigenen Dystopie. Der Autor hatte zuvor bereits die literarische Vorlage und das Skript für Tarkowskis Meisterwerk geliefert.

Aufgrund des extremen Szenarios benötigt Briefe eines Toten keine konventionelle Handlung und schildert stattdessen den „Alltag“ der Protagonisten. Trotz der zurückhaltenden Inszenierung entwickelt sich Lopuschanskis Werk zu einer bedrückenden Filmerfahrung, die vor allem aus der Ohnmacht der Figuren resultiert.

Gefangen in den Gemäuern des Museums, bleibt den Männern und Frauen nur eine passive Rolle: Entweder sie siechen krank dahin oder sie warten auf eine Verbesserung der Umstände, die frühestens in einigen Jahren eintreten wird. Nur wenige von ihnen – die jungen und gesunden Überlebenden – erhalten die Erlaubnis der provisorischen Verwaltung, in den „Zentralbunker“ überzusiedeln. Wer zurückbleibt, muss für sich selbst sorgen und ist damit dem Tode geweiht.

Die pessimistischen Aussichten der letzten Menschen transportiert Briefe eines Toten über eine bleierne Atmosphäre, die nicht nur mit dem untypischen Farbfilter erzeugt wird. Das hervorragende Setdesign illustriert die Postapokalypse detailreich und glaubhaft; die Tonebene verzichtet über weite Strecken auf Musik. Stattdessen setzt uns der Film endlosen Industriegeräuschen aus, die uns zunehmend mürbe machen.

Das Gefühl der Ausweglosigkeit erzeugt Lopuschanski auch durch den Verzicht auf dramaturgische Mätzchen. Im Gegensatz zu amerikanischen Katastrophenfilmen kommt Briefe eines Toten ohne Pathos oder große Spannungsszenen aus. Der Film wirkt so ungemütlich, weil er uns ungeschminkt mit der aussterbenden Menschheit konfrontiert; ohne Ablenkung oder die Erleichterung erzählerischer Konventionen. Zusammen mit den beiden ähnlichen Werken The War Game und Threads zählt Briefe eines Toten daher zu den furchteinflößendsten Visionen eines atomaren Holocausts.

Der Professor entflieht dem Elend, indem er an Theorien zum Weiterleben der Menschheit arbeitet und Briefe an seinen toten Sohn schreibt. Die in Text gefassten Gedanken transportiert Briefe eines Toten über ein Voice-over, das insbesondere in der ersten Filmhälfte eine nüchterne Bestandsaufnahme der Menschheit formuliert.

Wenn im weiteren Verlauf Trauer und Resignation die Überhand gewinnen, entwickelt Lopuschanskis Werk seine größte Kraft: Gerade im Angesicht des Untergangs beschwört Briefe eines Toten über die Texte des Professors einen überraschenden Humanismus und eine leise Hoffnung. Die Menschheit zahlt den Preis für ihre Sünden, wird aber mit etwas Glück im nuklearen Winter eine neue Reinheit finden.

★★★★★☆

1980 – 1989

Nach zwei Jahrzehnten, die sich zunehmend auf anspruchsvolle Werke fokussierten, fand in den Achtziger Jahren ein Umschwung statt. Genrefilme erlebten ein Comeback und Hollywood setzte zunehmend auf aufwendige Blockbuster. Das Unterhaltungskino begann, die Kinolandschaft zu dominieren.

Science-Fiction-Film

Der Science-Fiction-Film besitzt eine Vielzahl von Ausprägungen: Erdbesuche von Alien und die Erkundung fremder Planeten zählen ebenso zum Repertoire wie dystopische Dramen und Zeitreisefilme. Dabei ergeben sich oft Schnittstellen zu anderen Genres – vom Horrorfilm bis zur Komödie ist im Sci-Fi-Setting alles möglich.

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