Der zweite Atem
Ein Film von Jean-Pierre Melville
Retrospektiv lässt sich Der zweite Atem als Übergangsfilm im Werk von Jean-Pierre Melville einordnen. Zwar konnte der eigenwillige Franzose seine inszenatorische Meisterschaft bereits in vorherigen Werken wie Der Teufel mit der weißen Weste dokumentieren, doch erst mit Der zweite Atem gelang Melville der Durchbruch beim Publikum. In den folgenden Jahren sicherte er sich dann den Ruf eines Meisters des Gangsterfilms.
Filmkritik:
Bei den fatalistischen Werken Melvilles gilt Murphys Gesetz – immer geht alles schief, ohne Kollateralschäden kommt niemand davon. Der zweite Atem wirkt wie ein ironischer Titel, denn eigentlich scheint die Karriere von Gustave Minda schon vorbei zu sein – er sitzt im Gefängnis, lebenslänglich. Doch obwohl ihm in der ersten, so spannend wie wortlosen Szene der Ausbruch gelingt, scheint es mit dem eigentlich schon zu alten Gangster, der mehr von seinem in der Vergangenheit erarbeiteten Ruf lebt, stetig bergab zu gehen.
Melvilles letztem Schwarz-Weiß-Film gelingt es hervorragend, seine Figuren zu charakterisieren. Bereits die Ausbruchsszene deutet Mindas Zähheit und Beherrschung an und wird durch die erste Szene seines Gegenspielers Inspector Blot (großartig: Paul Meurisse), der nach einer Schießerei so süffisant wie sardonisch mehreren Gangstern Alibis in den Mund legt, noch getoppt.
Im Vergleich zu vorherigen Werken lässt Melville seine Figuren menschlicher und verwundbarer wirken, schildert den Plot weniger cool und abgebrüht, sondern mit einem fast schon dokumentarischen Realismus und nimmt sich dafür immerhin 140 Minuten Zeit; so bekommen wir einen ausführlichen Einblick in das Unterweltleben des von Lino Ventura famos verkörperten Protagonisten.
Zugleich erscheint Melvilles Film in dramaturgischer Hinsicht ausgeglichener, da er nicht auf einzelne Höhepunkte abzielt, sondern auf ein Gesamtbild. Dieses Konzept sollte er bei seinen späteren, oftmals als Meisterwerken deklarierten Werken Armee im Schatten und Vier im roten Kreis beibehalten.
Obwohl Der zweite Atem weniger spannend als andere Filme Melvilles ist, gelingt es dem Franzosen, fortwährend Suspense aufzubauen und den Spannungsbogen auf einem ordentlichen Niveau zu halten. Sein Gespür für den richtigen Tonfall sorgt in Verbindung mit den düsteren Trübsinnsbildern von Paris und Marseille für eine dichte Atmosphäre. Der zweite Atem erreicht nicht die Kraft und Eleganz von Melvilles Meisterwerken, erweist sich jedoch als Prototyp von weit überdurchschnittlicher Qualität.
★★★★★☆
Jean-Pierre Melville
Jean-Pierre Melville zählt zu den wichtigsten europäischen Autorenfilmern. Um seine Eigensinnigkeit ausleben zu können, produzierte er seine Filme selbst, schrieb Drehbücher und führte Regie. Melvilles Kriminalfilme bestechen durch ihren fatalistischen Tonfall und ihren ausgeprägten Hang zur Coolness. Die unterkühlten Darsteller und die akribisch durchkomponierten Bilder tragen erheblich dazu bei.
Kriminalfilm
Der Kriminalfilm zählt aufgrund unterschiedlichster Ausprägungen zu den breitesten Genres. Die sogenannten Whodunits beschäftigen sich mit der Täterfindung in einem einzelnen Fall; ebenso zählen die fatalistischen Detektivgeschichten des Film Noir zum Genre. Nicht zu vergessen sind Werke aus der gegensätzlichen Perspektive: Die Heist- und Gangsterfilme machen einen wesentlichen Teil des Krimigenres aus.