Joker
Ein Film von Todd Phillips
Mit Joker erhält der beliebteste Bösewicht der DC Comics eine Origin Story. Dafür greift Regisseur und Drehbuchautor Todd Phillips (Hangover 1-3) nicht auf die Vorlagen zurück, sondern auf das New Hollywood-Kino der Siebziger Jahre. Doch weil er das Tun seines Antihelden nicht reflektiert, entwickelt sich Joker zum Ärgernis.
Filmkritik:
Phillips konzentriert sich über weite Strecken auf die „private“ Seite des Jokers, der Arthur Fleck heißt, unter psychischen Erkrankungen leidet und in ärmlichen Verhältnissen lebt. Trotz offenkundigen Mangels an Talent versucht sich Fleck als Stand-up-Komiker und verdient nebenbei etwas Geld als mietbarer Clown. Als sein Leben endgültig aus der Bahn geworfen wird, sieht der Außenseiter rot. Er begibt sich auf einen Rachefeldzug, der ganz Gotham City in einen Strudel der Anarchie reißt.
Die Entstehungsgeschichte des Jokers reicht bis in das Jahr 1869 zurück und findet seinen Ursprung in einem Roman von Victor Hugo, den Paul Leni 1928 mit dem Stummfilm Der Mann, der lacht adaptierte. Der entstellte Protagonist des Horrordramas inspirierte die Schöpfer der Batman-Comics zur Figur des Jokers, der nun schon mehr als 80 Jahre lang sein Unwesen zwischen den Panels treibt und dank den Interpretationen von Jack Nicholson und Heath Ledger Eingang in die Kinogeschichte fand.
Diesen Ballast lässt Joker hinter sich und erfindet seinen Protagonisten komplett neu: Der ist hier kein Superschurke, sondern ein absonderlicher Außenseiter. Er zählt zum Bodensatz einer Gesellschaft, die ihm jede Chance auf persönliches Glück verwehrt. Dieses Schicksal teilt Fleck mit einer ganzen Generation von Filmhelden aus einer anderen Zeit – dem New Hollywood-Kino der Siebziger Jahre.
„I see the awful things in my life and turn them into something funny.“
Dieser Satz stammt nicht vom angehenden Joker, sondern von Rupert Pupkin, dem Protagonisten aus Martin Scorseses The King Of Comedy. Zuvor drehte der Regisseur bereits Taxi Driver, dessen Travis Bickle sich nur eines wünscht: „I think someone should just take this city and just flush it down the fuckin‘ toilet.“
Joker stellt seine Figur in eine Reihe mit diesen Vorgängern. Sein Gotham City hat nichts mit der Comicstadt aus Tim Burtons Batman-Filmen gemein, sondern ähnelt Scorseses New York. Auch der im Jahr 1981 angesiedelte Plot evoziert eine bewusst gesuchte Nähe zur New Hollywood-Ära.
Scorseses Filme sind so spannend, weil ihre Charaktere uns herausfordern. Bickle und Pupkin sind keine coolen Antihelden und gewinnen nie unsere Sympathie. Ihr Tun erzeugt ständig Dissonanzen und hinterfragt unsere Moral, es provoziert gleichermaßen Mitleid, Fremdscham und Abscheu. Weil wir ihre Vorgeschichte nicht kennen, bleiben sie ambivalent – wir können nie endgültig einschätzen, ob sie das Produkt einer defekten Gesellschaft sind oder nur eine zufällige Anomalie, die ihre Eigenverantwortung auf andere abwälzt.
Joker gesteht seiner Hauptfigur keine Vieldeutigkeit zu. Stattdessen erklärt er Arthur Fleck von vorneherein zum Opfer und füllt erzählerische Leerstellen gewissenhaft mit küchenpsychologischen Erklärungsansätzen: Missbrauch, Mutterkomplex, Depressionen. Im Ergebnis verkommt Fleck zu einem eindimensionalen Wirrkopf. Da er kaum einen Zugang zur Gesellschaft besitzt, können wir nichts von ihm lernen.
Außerdem kommen Flecks seelische Defizite dem Drehbuch zupass, um jedwede Haltung zu umgehen. „I am not political. Do I look like the kind of clown that could start a movement?“ sagt Fleck, und wir können das glauben. Sein Abscheu ist diffus, sein Handeln irrational. Mit anderen Worten: Der Joker ist ein Wutbürger. Er verabscheut „die da oben“ nicht auf Basis einer durchdachten Weltanschauung, sondern auf einer postfaktischen, rein persönlichen Ebene.
Allerdings spricht die Figur nicht für den Film, der zweifelsfrei politisch ist. Joker greift den Zynismus der Machtelite auf und die gesellschaftliche Ausgrenzung von „abgehängten“ Teilen der Gesellschaft. Aktuelle Themen also und ein Klima, das mit einer zeitgemäßen Variation des New Hollywood-Kinos bearbeitet werden könnte. Wie Rupert Pupkin und Travis Bickle eignet sich auch Arthur Fleck hervorragend als katalysatorische Figur, die unserer Gesellschaft den Spiegel vorhält.
Im Gegensatz zu Watchmen setzt sich Joker nicht mit dem Vigilantentum seiner Hauptfigur auseinander, er reflektiert weder seine Anarchie noch Flecks Verantwortung zu seinen Anhängern. Er konnotiert die gesellschaftlichen Kompromisse einer Demokratie negativ, bietet aber keinen Gegenentwurf. Joker kokettiert mit seinen Themen und stiehlt sich dann feige davon, anstatt das Geschehen in Kontexte zu setzen. Seine Nähe zum New Hollywood-Kino verkommt zur leeren Pose.
Dazu passt, dass Regisseur Todd Phillips der Faszination für seinen Protagonisten erliegt und ihm mit großzügigem Zeitlupeneinsatz eben die Coolness verleiht, die ihn unreflektiert zum Antihelden stilisiert. Damit nimmt er der Figur den letzten Rest Persönlichkeit – je weiter der Film voranschreitet, desto oberflächlicher gerät sein Joker.
Daran kann auch Joaquin Phoenix nichts ändern, der den Oscar als Bester Hauptdarsteller wohl eher für sein tolles Gesamtwerk erhalten hat und in Joker nur teilweise überzeugt. Gekonnt spielt Phoenix mit einem wechselhaften Tonfall und der sich entwickelnden Körperhaltung Flecks; Phoenix‘ Subtilität und sein Gespür für kleine Gesten bleiben hingegen auf der Strecke.
Der einfallslosen Regie zum Trotz überzeugt der Film zumindest handwerklich: Das Setdesign und die Kostüme sehen wunderbar aus und bedienen ein stringentes Farbkonzept, Kamera und Schnitt gefallen ebenfalls. Auch die Tonebene ist exzellent: Die Klänge von Hildur Guðnadóttir sorgen für Atmosphäre und die ironischen Retro-Songs erinnern wieder an Scorseses Frühwerk.
Nach dem Ansehen von Joker bleibt nicht mehr als eine laue Reminiszenz an seine Vorbilder. Zwar ist es ärgerlich, wie deutlich sich Todd Phillips an ihnen verhebt, doch immerhin macht sein Scheitern Lust, mal wieder Taxi Driver, The King Of Comedy und die anderen Werke der New Hollywood-Ära zu schauen. Wo Phillips schweigt, haben die Klassiker immer noch viel zu sagen.
★★☆☆☆☆
Drama
Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.