Short Cuts

Ein Film von Robert Altman

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1993

 | Jahrzehnt: 1990 - 1999

 | Produktionsland: USA

 

Nach einem Jahrzehnt in der Versenkung meldete sich Robert Altman zu Beginn der Neunziger Jahre zurück. Der eigenwillige Regisseur drehte mit Short Cuts ein spätes Meisterwerk und gewann den Goldenen Löwen bei den Filmfestspielen von Venedig.

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Filmkritik:

Short Cuts basiert auf neun Erzählungen sowie einem Gedicht von Raymond Carver. Altman kombiniert die einzelnen Geschichten zu einem 188-minütigen Ensemblefilm, der drei Tage im Leben von 22 Protagonisten aus Los Angeles erzählt und damit ein Panorama des modernen Großstadtlebens zeichnet.

Robert Altman begann seine Karriere im amerikanischen Fernsehen und kam dort aufgrund seiner unbequemen Art nicht recht voran, bis das freigeistige New Hollywood-Kino aufkam und dem Regisseur völlig neue Möglichkeiten eröffnete: In den Siebziger Jahren prägte Altman das amerikanische Kino mit einem halben Dutzend einflussreicher Filme.

In einer Trilogie dekonstruierte er Genres und ihre Mythen: 1970 knöpfte er sich mit M.A.S.H. auf satirische Weise den Kriegsfilm vor und gewann die Goldene Palme in Cannes; 1971 folgte mit dem Meisterwerk McCabe & Mrs. Miller ein Abgesang auf den Wilden Westen; 1973 führte er den Film Noir mit Der Tod kennt keine Wiederkehr ad absurdum. Darüber hinaus spürte er in Drei Frauen und Nashville dem Zustand der amerikanischen Gesellschaft nach.

Als das New Hollywood seinem Ende entgegenging, fielen Altmans unangepasste Art und die mittelprächtigen Einspielergebnisse seiner Filme stärker ins Gewicht. Nach der hanebüchenen Auftragsarbeit Popeye (1980) verzichteten die großen Studios auf die Dienste des Mavericks. Altman verließ Hollywood und zog nach Paris.

Ausgerechnet mit The Player, einer beißenden Satire auf die Gepflogenheiten der Traumfabrik, gelang dem Regisseur 1992 das Comeback. Mit Short Cuts, Prêt-à-Porter und Gosford Park folgten weitere Ensemblefilme, aus denen Erstgenannter herausragt.

Im Gegensatz zum abgehobenen Hollywoodalltag von The Player beschreibt Short Cuts den Alltag der Mittelklasse und das „echte Leben“ draußen vor unserer Tür, mit allen seinen kleinen Erfolgen und Enttäuschungen, seiner Beiläufigkeit und Banalität. In einer Zeit, in der der amerikanische Film sich zunehmend der Postmoderne und dem Genrekino zuwandte, offenbarte Altman in Short Cuts eine ungekünstelte Wahrhaftigkeit.

Es wäre der ideale Film, um Aliens auf Erdbesuch die Menschheit zu erklären, zumal Los Angeles ein perfektes Biotop für das abstruse Zusammenleben unserer Spezies abgibt. In der summenden Beliebigkeit des Großstadtlebens ist nichts von Dauer. Die Bewohner der Stadt kommen nie zur Ruhe, können nur eingeschränkt kommunizieren und werden regelmäßig von externen Einflüssen bedrängt. Nicht von ungefähr rahmen eine Insektenplage und ein Erdbeben die Handlung ein – es gibt buchstäblich keinen sicheren Boden.

Short Cuts erzählt nicht vom Leben, sondern vom Existieren – nicht das Tun, sondern das bloße Sein der Protagonisten steht im Zentrum des Films. Zwar vermittelt Altman eine intime Nähe zu den Figuren – wir lernen ihre Persönlichkeit, ihren Lifestyle und ihre kleinen Geheimnisse, Sorgen und Sehnsüchte kennen – dennoch bleiben wir stets Zuschauer an der Seitenlinie, denen das Innenleben der Figuren verborgen bleibt. Weil uns jede Figur jederzeit überraschen kann, entwickelt Short Cuts trotz seiner Länge eine enorme Kurzweiligkeit und manch spannende Szene.

Dabei bleibt der Tonfall erstaunlich ambivalent – Tragik (ein Kind wird angefahren und fällt ins Koma) reiht sich an schwarzen Humor (einige Angler finden eine Wasserleiche), brodelndes Unbehagen (ein Telefonsex-Girl frustriert ihren Freund) trifft auf Fremdscham (ein dauerlügender Macho-Cop), Melancholie (die On/Off-Beziehung eines Trinkers und einer Kellnerin) geht Hand in Hand mit Wut (ein Ehepaar streitet über einen Seitensprung) und Entfremdung (eine Mutter stößt ihre Tochter von sich).

Die handwerkliche Meisterschaft auf allen Ebenen trägt maßgeblich dazu bei, dass das Geschehen wie aus einem Guss wirkt. Die Kamera driftet immer wieder durch schöne Plansequenzen; der Schnitt von Geraldine Peroni verbindet die Episoden ständig durch mal unscheinbare, mal offen ironische Match Cuts; die Dialoge sind schlichtweg fantastisch und erlauben uns weitreichende Erkenntnisse über die Figuren.

Über allem steht das Ensemble aus zwei Dutzend Spitzenschauspielern, die hier aufzuführen verdient wäre, aber den Rahmen sprengen würde. Genannt werden müssen der herrlich unsympathische Tim Robbins, Jack Lemmon als einsamer Vater, Julianne Moore und Matthew Modine als streitendes Ehepaar sowie die Kumpels Robert Downey Jr. und Christopher Penn. Es war absolut angebracht, dass das Ensemble in seiner Gesamtheit einen Preis bei den Filmfestspielen in Venedig erhielt.

Robert Altman erhielt einmal mehr eine fruchtlose Oscar-Nominierung (er sammelte sieben davon, gewann aber lediglich 2006 einen Ehren-Oscar), der Einfluss seines Schaffens ist jedoch unbestreitbar gigantisch. Ohne Altmans Ensemblefilme würden die Arbeiten von Paul Thomas Anderson, Richard Linklater, Wes Anderson und vielen weiteren Filmemachern anders aussehen.

Paradoxerweise hält sich Short Cuts bis heute zeitlos und ist zugleich eine Zeitkapsel über das Leben in den Neunziger Jahren. Altman gelang eine Bestandsaufnahme der Mysterien des menschlichen Zusammenlebens und verlieh Sydney Pollacks memorablen Satz aus Eyes Wide Shut eine ultimative filmische Entsprechung: „Life goes on, it always does, until it doesn’t.“

★★★★★★

1990 – 1999

In den Neunziger Jahren wurden Filme ein Objekt der Popkultur. Die amerikanische Vermarktung erhob Blockbuster zum Massenphänomen, das weit über den Filmkonsum hinaus ging. Zeitgleich bildeten eine lebendige Independentfilmszene und ein erstarktes Arthousekino den Gegenpol. Auch dank der VHS-Kassetten entwickelte das Medium Film eine ungeahnte Vielfalt.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.