Das Fenster zum Hof

Ein Film von Alfred Hitchcock

Genre: Kriminalfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 1954

 | Jahrzehnt: 1950 - 1959

 | Produktionsland: USA

 

Das Fenster zum Hof zählt nicht aufgrund immenser Spannung oder einer wendungsreichen Handlung zu den großen Klassikern der Filmgeschichte, sondern weil Alfred Hitchcock seinen Krimi hochgradig reflexiv anlegt und uns Zuschauer auf uns selbst zurückwirft.

Copyright

Filmkritik:

Schon seit den Anfängen des Mediums diente das Kino als Schaukasten von Sensationen aller Art. Wie kein zweiter Regisseur spielte Hitchcock die Lust am Voyeurismus aus und fand immer wieder neue Szenarien, mit denen er beim Publikum die Lust am Morbiden und Absonderlichen herauskitzeln konnte. Das Fenster zum Hof stellt den Höhepunkt dieser Zuschauerbezogenheit dar und nutzt erneut James Stewart in der Rolle eines Jedermanns, der noch deutlicher als sonst den Stellvertreter des Publikums gibt.

Bereits die fantastische Eröffnungssequenz stellt den Zweck von Stewarts Figur – dem wegen eines gebrochenen Beins an Rollstuhl und Apartment gefesselten Fotoreporter Jeff – deutlich heraus. Wenn die Kamera nicht gerade den Protagonisten selbst beobachtet, nimmt sie automatisch seine Perspektive ein und offenbart uns durch Jeffs Augen das Geschehen auf der gegenüberliegenden Häuserseite. In langen Schwenks macht uns Hitchcock mit den Mietern der anderen Apartments bekannt, Fenster für Fenster der riesigen Häuserwandkulisse fährt die Kamera ab und liefert den Voyeuren in uns reichlich Material.

Nach der Exposition zieht Hitchcock die Spannung an, als Jeff einen seiner Nachbarn bei einem Mord beobachtet – oder doch nicht? Nur die im Fenster befindlichen Ausschnitte waren zu sehen, nur Indizien sprechen dafür. Die Differenz zwischen äußerem Schein und der tatsächlichen Realität stellt den großen Reiz von Das Fenster zum Hof dar und bindet uns Zuschauer erneut geschickt mit ein. Wie Jeff können auch wir nur mutmaßen und werden dadurch umso mehr an die gegenüberliegende Fensterseite gefesselt. Hitchcocks Spiel mit den Andeutungen beeinflusste eine ganze Reihe von anderen Klassikern, von denen insbesondere Michelangelo Antonionis Blow Up sowie Brian De Palmas Blow Out ähnlich ambivalent agieren.

Bei der Ausgestaltung der Kriminalgeschichte läuft Hitchcock zur Hochform auf und hält ein konstantes Spannungsniveau aufrecht. Nebenbei begründet der Regisseur Jeffs obsessive Neugierde an seinen Mitmenschen über den inneren Konflikt der Handlung, einer Beziehungskrise zwischen Jeff und seiner Freundin. Zwar wirken die Dialoge der beiden etwas zu salopp ausgestaltet, doch die Chemie zwischen Grace Kelly und James Stewart stimmt sichtlich und hinter Hitchcocks frivoler Freude an der ewigen Differenz der Geschlechter offenbart sich überraschend Jeffs Impotenz. Erst mit dem phallischen Teleobjektiv gelingt es Jeff, sein unerfüllbares Begehren in die Außenwelt zu verlagern und zumindest partiell zu befriedigen.

Leider enttäuscht Das Fenster zum Hof im Finale. Der Schluss entpuppt sich gleich in doppelter Hinsicht als einfallslos: Nicht nur heißt der Film die unmoralische Sensationslust von Jeff und uns Zuschauern gut und macht es sich damit reichlich einfach, auch den äußeren Konflikt des vermeintlichen Mordes löst Hitchcock auf die denkbar simpelste Weise auf.

Dennoch: Das Fenster zum Hof zählt aufgrund seiner reflexiven Herangehensweise, Hitchcocks meisterhafter Regie und des hohen Suspensefaktors zu den wichtigsten Werken des Regisseurs und ist trotz seiner unmoralischen Aussage absolut sehenswert.

★★★★☆☆

Alfred Hitchcock

Alfred Hitchcock ist wohl der bekannteste Regisseur der Welt. Diesen Ruf erwarb sich der Brite mit einer cleveren Selbstvermarktung, aber auch durch unzählige Meisterwerke. Im Lauf seiner 50-jährigen Karriere sicherte sich Hitchcock eine größtmögliche künstlerische Freiheit und schuf dank seiner handwerklichen Brillanz fesselnde Krimis und Thriller, die ihm den Beinamen Master of Suspense einbrachten.

Kriminalfilm

Der Kriminalfilm zählt aufgrund unterschiedlichster Ausprägungen zu den breitesten Genres. Die sogenannten Whodunits beschäftigen sich mit der Täterfindung in einem einzelnen Fall; ebenso zählen die fatalistischen Detektivgeschichten des Film Noir zum Genre. Nicht zu vergessen sind Werke aus der gegensätzlichen Perspektive: Die Heist- und Gangsterfilme machen einen wesentlichen Teil des Krimigenres aus.