Das Turiner Pferd
Ein Film von Béla Tarr
Mit Das Turiner Pferd schloss einer der großen Formalisten des Weltkinos seine Karriere ab – der ungarische Filmemacher Béla Tarr fährt ein letztes Mal alles auf, was ihn mit der Riege von transzendenten Regisseuren wie Carl-Theodor Dreyer, Robert Bresson und Andrei Tarkowski in Verbindung bringt und entfesselt nicht weniger als den Untergang der Welt.
Filmkritik:
Aufgeteilt in sechs Kapitel, die jeweils einen Tag umfassen, schildert Das Turiner Pferd das karge Leben eines alten Mannes und seiner Tochter, die irgendwo im Nirgendwo in einer spartanischen Hütte wohnen. Nach der sagenhaften, mythische Eröffnungsszene folgen nur noch 28 weitere Einstellungen. Da die Laufzeit zweieinhalb Stunden beträgt, fallen Szenen unfassbar lang aus und werden kaum durch Schnitte unterbrochen.
Zusammen mit dem deutschen Kameramann Fred Kelemen entwirft Tarr regelrecht fließende Gemälde, deren satte Schwarz-Weiß-Motive im Zusammenspiel mit der präsenten Orgelmusik für eine Aura des Apokalyptischen sorgen.
Was genau in Das Turiner Pferd vor sich geht, erzählt der Film nicht. Tarrs Werk gibt sich noch wortkarger als seine anderen Arbeiten und stellt Zuschauer, die eher handlungsaffin als stimmungsaffin sind, auf eine gehörige Geduldsprobe. Dass hier etwas Gewaltiges gärt, steht außer Frage, doch der Film zeigt es schlichtweg nicht, sondern schildert zunächst einmal den Alltag der beiden Protagonisten.
Dieser besteht aus Alltagstätigkeiten und viel Schweigen. Minutenlang sehen wir die Vorbereitung von Mahlzeiten und die Nahrungsaufnahme an sich (es gibt jeweils eine große Kartoffel mit Salz), das Waschen von Wäsche, das Wasserholen aus dem Brunnen vor dem Haus. Erst nach einigen Tagen und rund einer Stunde Spielzeit tritt eine dritte Figur auf: Ein Nachbar möchte sich eine Flasche Schnaps borgen und erzählt, dass die nahe gelegene Stadt zerstört sei und nun alles untergehen würde: „Nun ist alles verloren.“
Der Mann entpuppt sich als düsterer Prophet, denn bald schon hören die Holzwürmer im Haus mit ihrem Tun auf, das Pferd der beiden frisst und gehorcht nicht mehr, das Wasser des Brunnens versiegt und der omnipräsente, stetig um die Häuserecken pfeifende Wind nimmt immer mehr an Stärke zu. Es scheint, als würde sich der Ablauf der göttlichen Schöpfung in zerstörerischer Umkehrung befinden.
Nur den wenigsten Zuschauern wird Das Turiner Pferd tatsächlich so etwas wie Spaß bereiten – zu konsequent und unangepasst setzt Béla Tarr sein Konzept um. Dennoch kann die unbändige Kraft von Tarrs Vision keinesfalls negiert werden und erweckt zusammen mit der mystischen Vieldeutigkeit ein intensives Filmerlebnis. Auf formaler Ebene hatte das Kino dieses Jahrzehnts nur selten etwas Ebenbürtiges zu bieten.
★★★☆☆☆
Drama
Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.