Der siebte Geschworene

Ein Film von Georges Lautner

Genre: Kriminalfilm

 

 | Erscheinungsjahr: 1962

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Frankreich

 

Der siebte Geschworene pendelt zwischen Dürrenmatt und Dostojewski: Er offenbart anhand eines Mordfalls die Doppelmoral einer Kleinstadt und seziert das Innenleben des Mörders. Die Adaption des Romans von Francis Didelot besticht durch seine Beobachtungsgabe und einen exzellenten Hauptdarsteller.

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Filmkritik:

Als Film über den Einbruch des Irrationalen in die vermeintliche Normalität beginnt Der siebte Geschworene brillant: Noch während die Namen der Beteiligten eingeblendet werden, malt er uns eine verträumte Spätsommeridylle – Kleinstadt, Badesee, klassische Musik. Die Kamera schwenkt schließlich auf einen Spaziergänger, der sich einer in der Sonne dösenden Frau nähert und sie in einem spontanen Impuls erwürgt – welch effektvoller Auftakt!

Der Apotheker Duval kann sich seine Tat selbst nicht erklären. Doch er gerät auch nicht in Verdacht und lebt sein Leben weiter wie bisher. Erst als ein Unschuldiger für den Mord angeklagt und Duval in die Jury berufen wird, regt sich der Protagonist und versucht den Prozess mit seinem Insiderwissen auf einen Freispruch zu lenken.

Der siebte Geschworene lebt von der Ambivalenz seiner Hauptfigur und etabliert ein Szenario à la Alfred Hitchcock, der sich in Bei Anruf Mord oder Cocktail für eine Leiche ebenfalls auf Täter fokussierte und uns Zuschauer zu Komplizen erhob. Das bringt uns in eine Zwickmühle zwischen einer moralischen Haltung und dem Vergnügen des Verbrechens. Natürlich verdient Duval eine Verurteilung, allerdings stellt er sich als Antiheld in unseren Dienst: Seine Tat entlarvt die Bigotterie seiner Mitmenschen.

Der Kriminalfall dient – ähnlich wie 20 Jahre zuvor beim französischen Klassiker Der Rabe – als Anlass einer gesellschaftlichen Bestandsaufnahme. Der Film konfrontiert seinen Protagonisten mit gleich drei Konfliktgebieten: Duval muss sich mit der Justiz, seinem Milieu und seiner unglücklichen Ehe auseinandersetzen. Der siebte Geschworene zeichnet ein verheerendes Bild dieser drei Bereiche.

Die Kleinstadt wird von einer Gruppe von Spießbürgern beherrscht, die auf alle herunterblicken, die sich nicht ihrer engen Moralvorstellung beugen. Da sowohl das Mordopfer als auch der Angeklagte einen promiskuitiven Lebensstil pflegten, geht es in dem Mordprozess nicht um Gerechtigkeit – angeklagt wird hier in erster Linie ein lockerer Lebenswandel, das Abweichen von den spießbürgerlichen Normen.

Dabei entlarvt der Prozess auch die Doppelmoral der herrschenden Klasse, sinnbildlich verkörpert vom inkompetenten, aber dauerempörten Staatsanwalt. Nicht von ungefähr legen die Beamten den Prozess auf das Datum des jährlichen Stadtfestes – so finden rechtliche und wirtschaftliche Interessen zusammen. Der eigentliche Prozess wird sowieso nicht im Gericht geführt, sondern im Wirtshaus, wo sich die elitäre Männerrunde zum allabendlichen Kartenspiel trifft, Klatsch diskutiert und nicht Anwesende zu sozialer Aussätzigkeit verurteilt.

Aufgrund seiner Zugehörigkeit zu dieser Runde kommt Duval nie in Verdacht – ein Mann aus bürgerlichen Kreisen kann schließlich kein Mörder sein. Wie auch einige Jahre später in Elio Petris Satire Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger verzweifelt ein des Lebens müder Mörder an der Borniertheit seiner Verfolger.

Duval gehört nur noch dem äußeren Anschein nach zur Kleinstadtelite, von der er sich im Lauf der Jahre entfremdet hat. Aus dieser inneren Distanz heraus durchschaut er seine Mitmenschen und teilt seine Beobachtungen mit uns Zuschauern – ein Großteil der Erzählung findet auf der Tonebene statt, die Duvals Gedankengänge wiedergibt.

Diese inneren Monologe offenbaren die literarische Herkunft von Der siebte Geschworene. Regisseur Georges Lautner übersetzt den Text ausgezeichnet in filmische Mittel: Die Distanz zwischen Bild und Ton verdeutlicht den Bruch zwischen Duvals Innenleben und seiner Außenwelt. Sein wahres Ich erscheint eingesperrt im Körper eines Fremden, der wie ferngesteuert ein mechanisches Leben abspult.

Passend dazu bleibt auch die Kamera distanziert und isoliert den Protagonisten; oft passiert auf der visuellen Ebene wenig, während Duvals Gedanken auf der Tonebene pausenlos arbeiten. Dabei profitiert der Film enorm vom unscheinbaren Bernard Blier, der Charakterdarsteller trägt die inneren Umwälzungen seines Apothekers subtil nach außen, mit eingezogenem Kopf und zusammengekniffenen Lippen.

Nur selten bricht es aus Bliers Figur heraus – etwa in einer unangenehmen Szene, in der seine Frau ihn vor Freunden und Familie mit einer offensichtlichen Lüge lobt und er nicht anders kann, als laut loszulachen; dass alle Anwesenden einstimmen, verstärkt die Beklemmung der Szene noch und bringt jahrelangen Selbstbetrug auf den Punkt.

Duval findet selbst in seinem eigenen Zuhause keine Zuflucht mehr – er hat in jungen Jahren zu schnell geheiratet, die Ehe bleibt trotz der Kinder freudlos. Die Beziehung der Eheleute erinnert an die Ausbeutungsszenarien eines Rainer Werner Fassbinder: Duvals Frau ahnt seine Täterschaft früh und deckt ihn – nicht aus Liebe, sondern um ihren sozialen und materiellen Status zu erhalten.

Duval hat daher nichts mehr zu verlieren. Spätestens im gallenbitteren Finale reift die Erkenntnis: Das Gefängnis, das sind die anderen.

★★★★☆☆

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

Kriminalfilm

Der Kriminalfilm zählt aufgrund unterschiedlichster Ausprägungen zu den breitesten Genres. Die sogenannten Whodunits beschäftigen sich mit der Täterfindung in einem einzelnen Fall; ebenso zählen die fatalistischen Detektivgeschichten des Film Noir zum Genre. Nicht zu vergessen sind Werke aus der gegensätzlichen Perspektive: Die Heist- und Gangsterfilme machen einen wesentlichen Teil des Krimigenres aus.