Gate of Flesh

Ein Film von Seijun Suzuki

Genre: Drama

 | Strömung: Japanische Neue Welle

 | Erscheinungsjahr: 1964

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: Japan

 

Mit seinem grellen Pulp-Melodram Gate of Flesh setzte der japanische Filmemacher Seijun Suzuki die Nachwehen des Zweiten Weltkrieges auf einmalige Weise in Szene und liefert ein ungewöhnliches Kleinod aus der Fließbandschmiede des Nikkatsu-Studios.

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Filmkritik:

Schnell und günstig hatten die Regisseure zu arbeiten und so drehte Suzuki im Alter von dreiundvierzig Jahren bereits seinen zweiunddreißigsten Film. Sein Drama schildert den Alltag fünf Prostituierter im zerstörten Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg, versucht sich im Gegensatz zu älteren Werken wie Kenji Mizoguchis Frauen der Nacht jedoch nicht an einer realistischen Abbildung der Lebensumstände seiner Figuren, sondern übersteigert das Geschehen, wo es nur geht.

Für einen besonderen Charme sorgt die Tatsache, dass Gate of Flesh komplett im Studio gedreht wurde. Aufgrund des niedrigen Budgets „organisierten“ sich die Setdesigner über Nacht auf dem Studiogelände herumliegendes Baumaterial und fertigten das Set des zerstörten Tokios in Schwarzarbeit im Hinterhof von Nikkatsu an, ohne einen Yen ihres offiziellen Budgets auszugeben. Als ein Studioverantwortlicher bei einer Inspektion das stimmungsvolle Set sah, war er einigermaßen verwundert.

Statt die Künstlichkeit dieser Studiowelt zu kaschieren, entscheidet sich Seijun Suzuki für das Gegenteil und hebt das Artifizielle noch hervor: Seine Prostituierten erhielten eine knallbunte Garderobe, bei der jeder Figur eine eigene Farbe zugeordnet wurde. Durch die expressive Lichtsetzung betont der Film die Bühnenhaftigkeit der Kulissen ebenfalls, während die ungewöhnlichen Perspektiven, Doppelbelichtungseffekte und weitere inszenatorische Sperenzien die Zugehörigkeit zur Japanischen Neuen Welle bestätigen.

Wie viele von Suzukis späteren Werken ist auch Gate of Flesh losgelöst von den Konventionen und erweist sich als Over-the-top-Melodram; zum lüsternen Sexploitationfilm gerät es aber nicht, da Suzuki neben der furiosen formalen Gestaltung auf inhaltliche Ambivalenz setzt. Im von den Vereinigten Staaten überwältigten und besetzten Japan lebt die Unterschicht von der Hand in den Mund; so auch die Protagonistinnen, die sich vollständig aus dem traditionellen japanischen Rollenbild der devoten Frau gelöst haben, um überleben zu können. Und so spucken sie in einer denkwürdigen Szene im wahrsten Sinne des Wortes auf alle anderen Menschen und nehmen sich, was sie kriegen können.

Doch wirken die jungen Frau mit ihrer lauten und kompromisslosen Art anfangs noch wie Antagonisten, die ihrer Menschlichkeit abgeschworen haben, um die Schwächeren ohne Schuldgefühl ausnehmen können, weckt der Film schnell Zweifel an der stetig behaupteten Stärke der Frauen. Zunächst entlarvt eine von ihnen – die einzige, die sich noch in einen traditionellen Kimono kleidet und sich nicht vollends den kompromisslosen Regeln der Gruppe verschrieben hat – die erkaltete Gefühlswelt ihrer Kolleginnen, kurz darauf ändert ein Mann alles. Der gesuchte Verbrecher Shintaro schließt sich den Frauen an und sogleich entsteht ein Patriarchat unter seiner Führung, die von keiner der doch angeblich so selbstständigen Damen angezweifelt wird.

Der Shintaro-Darsteller Joe Shishido, der später auf ultracoole Gangster in Suzuki-Filmen abonniert sein sollte (u. a. in Jagd auf die Bestie, Tokio Drifter und Branded to Kill), beweist hier einige Ambivalenz und lässt in einer der besten Szenen von Gate of Flesh ebenfalls die Maske seines Protagonisten fallen: Vom Krieg traumatisiert und von der Militärpolizei in die Enge getrieben, ergeht es ihm nicht anders als den Frauen in dieser „Ersatzfamilie“ – auch er behauptet seine Stärke lediglich, steht jedoch innerlich kurz vor dem Zusammenbruch.

Hier gleichen sich Film und Protagonisten an: Hinter der Fassade aus grellen Farben, nackter Haut und der dynamischen Inszenierung liegen ein versteckter emotionaler Kern und einige Tragik. Gate of Flesh ist ein Melodram über die nicht heilenden Wunden des Krieges, in dem alle Figuren Opfer sind und ihre Menschlichkeit aufgeben mussten, weil sie eine Schwäche darstellt. Wer sie sich leisten will, muss Opfer bringen.

★★★★★☆

Seijun Suzuki

Zu Beginn seiner Karriere kurbelte Seijun Suzuki B-Movies am Fließband herunter. Gelangweilt von den seelenlosen Auftragsarbeiten begann der Regisseur, die immer gleichen Gangsterstreifen in eine neue, zunehmend expressivere Form zu pressen. Fortan inszenierte er seine B-Movies als grelle Pulp-Reveuen – wild, bunt, unglaubwürdig. Das entsetzte die Studiobosse, bescherte Cineasten jedoch einzigartige Filmerlebnisse.

Japanische Neue Welle

Als die französische Nouvelle Vague die Filmsprache veränderte, inspirierte sie auch die Regisseure im fernen Japan. Diese brachen nun ebenfalls mit traditioneller Inszenierung und altbackener Themenwahl. Es folgten Arbeiten unterschiedlichster Genres, die sich deutlich gesellschaftskritischer gaben und dazu einer modernen, manchmal sogar radikalen Inszenierung bedienten.