Cure

Ein Film von Kiyoshi Kurosawa

 

 | Erscheinungsjahr: 1997

 | Jahrzehnt: 1990 - 1999

 | Produktionsland: Japan

 

Im Psychothriller Cure kommt der markante Stil von Kiyoshi Kurosawa am besten zur Geltung. Der Regisseur vereint Kunst- und Genre-Kino und baut ein Schreckensszenario auf, das sich nie ganz fassen lässt. In den nüchternen Bildern verbirgt sich eine erdrückende Finsternis, die Cure zu einer intensiven Filmerfahrung macht.

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Filmkritik:

Cure schickt den Ermittler Takabe auf die Spur einer mysteriösen Mordserie. In Tokyo töten mehrere Personen unabhängig voneinander ihre Opfer durch ein in den Hals geschlitztes X, anschließend lassen sie sich desorientiert festnehmen. Takabe steht vor einem Rätsel: Es gibt kein Motiv, die spontanen Taten erscheinen sinnlos.

Die Filmwelt scheint sich vor dem Ermittler und uns Zuschauern zu verschließen, was typisch für die Arbeiten von Kiyoshi Kurosawa ist. Die Bildgestaltung des japanischen Regisseurs konzentriert sich die spröde Oberfläche: Eine statische Kamera fängt nüchterne Szenen ein, keine inszenatorischen Schnörkel brechen die stilistische Strenge.

Dass sich hinter dieser vermeintlichen Normalität etwas verbirgt, lässt sich allenfalls erahnen. Die Bilder erscheinen düsterer als nötig, eine wummernde Tonspur liegt über dem Geschehen. Nach kurzer Zeit filtert unser Gehirn die dumpfen Töne aus unserer Wahrnehmung, doch sie kriechen trotzdem durch unser Unterbewusstsein und stiften ein ungutes Gefühl.

Die Tonebene bringt die grundsätzliche Haltung des Regisseurs auf den Punkt: Wir sollen nicht wissen, sondern fühlen und nicht das Gehirn, sondern das Unterbewusstsein arbeiten lassen. Kiyoshi Kurosawa versteht das Kino nicht als Text-, sondern als Bild-Erfahrung. Deshalb kommt Cure mit rund 600 Zeilen Dialog aus – ein Drittel dessen, was zweistündige Filme normalerweise benötigen.

Wer Dinge benennt und beschreibt, verkleinert sie, raubt ihnen einen Teil ihrer Kraft. Kurosawa lässt seine Bilder wirken. Dadurch bewahren sich seine Filme das Mysteriöse, Irrationale, Nicht-Benennbare – kurzum jene Ambivalenz, die den Reiz des visuellen Mediums Film ausmacht.

In Cure gleicht die Ermittlungsarbeit einem Labyrinth: Takabe tastet sich planlos voran, doch selbst die minimalen Fortschritte führen nirgendwo hin. Im Gegenteil: Takabes Erkenntnisse verschaffen ihm keine bessere Übersicht, sondern vergrößern die Anzahl möglicher Abzweigungen. Je weiter Takabe voranschreitet, desto mehr verirrt er sich.

Das zieht eine zunehmende Entfremdung nach sich: Takabe weiß, dass sich hinter der Oberfläche der vermeintlichen Normalität eine zweite Welt verbirgt, doch es ist ihm unmöglich, dorthin vorzustoßen; er ist dazu verdammt, in der Oberflächen-Welt zu verharren, von der er weiß, dass sie falsch ist. Die Normalität hat aufgehört, normal zu sein. Er fühlt sich nirgendwo mehr zugehörig.

Die Entfremdung der Figuren von ihrer Umwelt zählt zu den grundlegenden Motiven des Regisseurs: Egal ob im Gangsterfilm Serpent’s Path, im großartigen Horrorfilm Pulse, im Geisterkrimi Retribution oder in Cure, stets entfremden sich die Protagonisten von ihrer Umwelt, bis sie plötzlich feststellen müssen, dass ihnen die Normalität unbemerkt entglitten ist.

Kurosawas Filmwelten zerfallen fortwährend, aber schleichend. Der Prozess verläuft nie ohne Dissonanzen, die auf fast unsichtbare Brüche aufmerksam machen. Sie treten auch in Cure auf, obwohl die statischen Bilder das verschleiern. Die Dissonanzen verstecken sich im Schnitt, der maßgeblich mit dem Antagonisten des Films zusammenhängt.

Cure offenbart uns schon zu Beginn, dass ein junger Mann Hypnose einsetzt, um Menschen zu Mordtaten anzuleiten. Obwohl wir damit mehr wissen als Takabe, können wir den Film trotzdem nicht fassen. Die Oberflächlichkeit bleibt undurchdringbar – wir können den Bildern nicht vertrauen, weil wir nicht sehen, was hinter ihnen liegt.

Der geniale Schnitt verstärkt dieses Problem: Mit jedem Schnitt scheint die Filmwelt ein Stückchen weiter auseinanderzudriften. Insbesondere die Szenen, in denen der Hypnotiseur auftritt, stimmen manchmal nicht. Es beschleicht einen fortwährend das Gefühl, als fehlten einige Sekunden – eine banale Straffung durch den Editor oder eine hypnose-induzierte Dissonanz?

Das Wissen um den Täter ist auch deshalb so wertlos, weil sich Cure nicht auf ein Genre festlegen lässt. Ob der Mann übernatürliche Kräfte hat oder eine psychologische Methode anwendet, bleibt im Dunklen. Kurosawas Werk lässt sich als übernatürlicher Horrorfilm lesen, ist jedoch im Kern ein Kriminalfilm, der sich auf die Ermittlungsarbeit konzentriert. Dass Takabe zunehmend in die Fänge des Täters gerät und beginnt, an seinem Geisteszustand zu zweifeln, erinnert hingegen an Psychothriller wie Sieben oder Das Schweigen der Lämmer.

Die fehlende Möglichkeit einer Genre-Zuordnung nimmt uns die Sicherheit etablierter Muster – der Film bleibt unvorhersehbar, das Suspense lässt nie nach. Allerdings ist Cure nicht auf vordergründige Spannung aus, sondern kopflastig angelegt. Der Film funktioniert nach den Maßstäben des Kunst-, nicht des Unterhaltungskinos.

Das konsequente Finale unterstreicht die Qualität des Films noch einmal: Es führt die Täterjagd ad absurdum, erlaubt Takabe eine Katharsis und vielleicht sogar ein Happy End. So wie er endlich seine Welt gefunden hat, finden wir unsere – hypnotisiert von einem Meister seines Fachs.

★★★★★★

1990 – 1999

In den Neunziger Jahren wurden Filme ein Objekt der Popkultur. Die amerikanische Vermarktung erhob Blockbuster zum Massenphänomen, das weit über den Filmkonsum hinaus ging. Zeitgleich bildeten eine lebendige Independentfilmszene und ein erstarktes Arthousekino den Gegenpol. Auch dank der VHS-Kassetten entwickelte das Medium Film eine ungeahnte Vielfalt.

Horrorfilm

Das Horrorgenre gibt uns die Möglichkeit, Schreckensszenarien durchzuspielen und damit Stress aus unserem Unterbewusstsein abzuleiten. Der Horrorfilm bedroht immer die Normalität – sei es durch Geister, Monster oder Serienkiller. In der Regel bestrafen die Antagonisten die Verfehlungen von Sündern, inzwischen verarbeiten postmoderne Horrorfilme diese Motive jedoch auch ironisch und verbreitern damit die ursprünglichen Sujets des Genres.