Krise

Ein Film von Ingmar Bergman

Genre: Drama

 

 | Erscheinungsjahr: 1946

 | Jahrzehnt: 1940 - 1949

 | Produktionsland: Schweden

 

Das kleine Debüt eines Giganten: Ingmar Bergman startete mit Krise seine Regie-Karriere. Der mit niedrigen Ansprüchen und bescheidenen Produktionsmitteln gedrehte Film offenbart schon das Talent des Regisseurs, der die triviale Geschichte vertieft und bereits Themen bearbeitet, die später als typisch gelten sollten.

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Diese Kritik ist Teil einer langfristigen Retrospektive zu Ingmar Bergman. Alle Infos dazu sind hier zu finden.

Filmkritik:

Krise widmet sich den Wechselwirkungen zwischen drei Frauen: Nelly ist in einem beschaulichen Dorf aufgewachsen, wo sie von einer Adoptivmutter großgezogen wurde. An Nellys 18. Geburtstag taucht ihre leibliche Mutter auf und verspricht ihr eine Zukunft in der Großstadt. Die junge Frau muss sich zwischen ihren beiden Müttern entscheiden; die beiden haben derweil noch an eigenen Problemen zu tragen.

Wir haben es hier also mit einem Melodram zu tun, zudem mit einer Produktion unter vielen, die das Studio zu jener Zeit mit geringem Mitteleinsatz produzierte. Filme wie dieser dienten in erster Linie der Auslastung der festangestellten Techniker und Produktionsstätten. Die Svensk Filmindustri wünschte lediglich eine pünktliche, kostengünstige Produktion mit kleinem Gewinn, künstlerische Gesichtspunkte waren zweitrangig.

Auch deshalb erhielt Ingmar Bergman seinen ersten Posten als Regisseur bereits im Alter von 24 Jahren. Zuvor hatte er Theaterstücke an der Universität inszeniert und war als Fließbandautor von Drehbüchern vom Studio engagiert worden. Später schrieb er das Script für Alf Sjöbergs Die Hörige, wo Bergman auch als Regieassistent diente und die Schlussszene drehen durfte. Aufgrund des Erfolges von Sjöbergs Werk erhielt Bergman die Chance auf einen eigenen Film.

Krise entwickelte sich zu einem Debüt mit Hindernissen: Das mittelprächtige Personal erfüllte Bergmans Ansprüche nicht, Unfälle am Set erschwerten die Dreharbeiten ebenso wie Pech mit dem Wetter. Auch Bergman selbst zählte zu den Störfaktoren – als ehrgeiziger, aber unerfahrener Regisseur, dessen Temperament bisweilen mit ihm durchging.

Schließlich schickte das Studio einen erfahrenen Kollegen vorbei, um Bergman zu beraten – der muss aus allen Wolken gefallen sein, als er sich unverhofft dem bis dato größten schwedischen Regisseur überhaupt, Victor Sjöström, gegenübersah. Der Meister wurde Bergman ein Mentor und erhielt seine Würdigung später als Hauptdarsteller von Wilde Erdbeeren.

Dennoch blieb Krise eine unpersönliche, von vorneherein aufs Mittelmaß kalibrierte Auftragsarbeit. Zwar schrieb Bergman auch hier das Drehbuch, dabei adaptierte er jedoch lediglich ein Theaterstück, das mit seiner typischen Figurenanlage und simplen Konflikten keinen Innovationspreis gewinnt.

Umso überraschender ist es, dass eine retrospektive Betrachtung von Krise zahlreiche Motive zutage fördert, die Bergman seine ganze Karriere über bearbeitete. Bereits im Alter von 24 betont er jene Aspekte der Geschichte, die Selbstzweifel, das Altern, Krankheit und Tod berühren. Durch die konsequente Hinwendung zu diesen Themen treibt er dem Stoff die Seichtigkeit aus und vertieft die melodramatischen Konflikte zu existenziellen Krisen.

Dabei legt Bergman eine erstaunliche Reife an den Tag und moduliert den Tonfall des Films souverän: Krise beginnt mit heiterer Energie und ironischen Spitzen, um dann immer mehr ins Düstere abzugleiten. Schon in diesem Debüt liefert der Schwede Stichproben des künftigen Bergman-Stils, etwa wenn er eine nächtliche Zugfahrt im Schlafwagen in einen Albtraum verwandelt und damit die tiefgehende Unsicherheit der Figur ausdrückt.

Allerdings erleben wir auch die andere Seite Bergmans, der die Geschichte von einem allwissenden Erzähler einleiten und beenden lässt, das Geschehen damit bricht und ausstellt – Bühne frei, Vorhang hoch, das Leben als Theaterstück. Diese Perspektive verleiht dem Plot eine gewisse Ironie und dürfte Bergman, der sich in erster Linie als Theatermann sah, Sicherheit gegeben haben.

Der Regisseur bezeichnete sein Debüt Jahre später als furchtbar, was angesichts der gestalterischen und erzählerischen Kompromisse nachvollziehbar erscheint; insbesondere das allzu idyllische Ende mindert die Wirkung des Films. Dennoch besitzt Krise viele Stärken, die das Ansehen lohnenswert machen.

So nähert sich Bergman den Figuren mit Bedacht – er tastet sie auf Unebenheiten ab, anstatt ihre Makel von vorneherein auszustellen. Damit nimmt er den eigentlich simplen Protagonisten das Prototypische und sorgt dafür, dass wir sie erst im Verlauf der Handlung erschließen können. Durch den durchgängigen Prozess der Entwicklung bleiben sie stets interessant.

Außerdem verfügt Krise über eine ansehnliche Bildgestaltung, die insbesondere in der zweiten Filmhälfte zum Tragen kommt, wenn der Film die konventionellen Bilder der malerischen Kleinstadt hinter sich lässt und die finstere Großstadt in harte Kontraste setzt. Passend dazu liefert Komponist Erland von Kich eine manchmal etwas aufdringliche, aber effektvolle Musik. So setzt er Strauss‘ Donauwalzer aus dem Beginn des Films später erneut ein – in entstellter Form, was die nun pessimistischere Lebenseinstellung der Protagonisten spiegelt.

Die Dramaturgie entfaltet sich hingegen weniger imposant und fällt zum Schluss regelrecht in sich zusammen – nach zwei Höhepunkten binnen weniger Minuten verpufft der Rest des Films und lässt viel dramatisches Potenzial ungenutzt. Dennoch ist Krise insgesamt ein gelungenes Debüt, das aus dem beschränkten Stoff das Maximum herausholt und das enorme Talent Ingmar Bergmans andeutet.

★★★★☆☆

Ingmar Bergman

In seinen rund 50 Filmen erforschte Ingmar Bergman die dunklen Seiten der menschlichen Psyche – Sex und Tod, Glaube und Hass nehmen zentrale Plätze im Schaffen des Schweden ein. Die düsteren Bilder unterstreichen diese Themenwahl nachhaltig und vermitteln oft eine Stimmung existenzieller Krisen. 1997 erhielt Bergman bei den Filmfestspielen in Cannes einen Sonderpreis als „bester Regisseur aller Zeiten“.

Drama

Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.