Oppenheimer
Ein Film von Christopher Nolan
Genre: Drama
| Erscheinungsjahr: 2023
| Jahrzehnt: 2020 - 2029
| Produktionsland: Großbritannien, USA
Mit Oppenheimer zeichnet Christopher Nolan das Leben des „Vaters der Atombombe“ nach und versucht seinen typischen Erzählstil mit den Konventionen des Biopics in Einklang zu bringen. Das gelingt dem ehrgeizigen Filmemacher nur in Ansätzen – ausgerechnet der erzählerische Aspekt des Films enttäuscht.
Filmkritik:
Der theoretische Physiker J. Robert Oppenheimer leitete die amerikanische Atombombenentwicklung und beeinflusste damit direkt das Ende des Zweiten Weltkrieges, Hiroshima und Nagasaki, den Kalten Krieg. Trotzdem wurde der Wissenschaftler in der McCarthy-Ära zum Gegenstand politischer Verwerfungen, was zu einem inoffiziellen Prozess gegen den vermeintlichen Kommunisten führte.
Christopher Nolan kam über Robert Pattinson mit Oppenheimer in Berührung. Der Schauspieler schenkte seinem Regisseur zum Drehschluss von Tenet ein Buch mit den gesammelten Reden des Physikers. Infolgedessen stieg Nolan tiefer ein und landete bei der pulitzerpreisprämierten Biografie American Prometheus, deren 800 Seiten er in 180 Minuten Film konvertierte.
In Form und Inhalt sind Biopics die konventionellste Kategorie des Kinos: Tatsachen ersetzen die Fantasie, Vorwissen lässt kaum Ungewissheit zu, Mimikry verdrängt Zwischentöne. Folglich schwebt das Damoklesschwert der Banalität über solchen Filmen, die oft nur erzählen, was wir schon wissen, und das auch noch auf eindimensionalste Weise – sie reduzieren ein Leben auf die wichtigsten Stichpunkte und haken diese dann pflichtschuldig ab.
Nur wenige Ausnahmen brechen mit diesem faden Rezept: Todd Haynes‘ I’m Not There verweigert sich der Bob Dylan-Mimikry durch sechs verschiedene Hauptdarsteller, Adam McKays streitbarer Vice negiert als polemische Farce vermeintliches Vorwissen über Dick Cheney und Stephen Hopkins‘ The Life and Death of Peter Sellers filtert das Leben des Komikers durch dessen eigenen Stil und lässt so Realität und Kunst untrennbar verschmelzen.
Christopher Nolan bricht die erzählerischen Konventionen des Biopics auf, indem er Oppenheimer in vier Erzählstränge aus unterschiedlichen Zeitebenen unterteilt. Damit kreiert er seinen typischen, immer ein bisschen hektischen Stil, einen Mehrwert bringt diese Fragmentierung jedoch nicht. Der Plot hat diese Verdichtung schlichtweg nicht nötig, das ständige Hin und Her zwischen den Ebenen stört das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren.
Die strukturelle Hektik ergänzt Nolan noch um eine unmittelbare Atemlosigkeit – Oppenheimer reiht Dialog an Dialog, 180 Minuten lang, ohne jemals eine Pause einzulegen. Um der auditiven Fülle noch die Krone aufzusetzen, kommt die (für sich gute) Musik von Ludwig Göransson zum nervtötenden Dauereinsatz und zwängt sich fortwährend zwischen die Dialoge.
In dieser Dreifaltigkeit aus narrativen Brüchen, musikalischer Dauerbeschallung und Geschwätzigkeit fliegt die dreistündige Spielzeit nur so dahin, Oppenheimer ist erstaunlich kurzweilig. Doch es ist schon bemerkenswert: Da versammelt der Film eine Heerschar brillanter Menschen, doch ihre Kernkompetenz zeigt er nicht – wir sehen die vielen Genies niemals beim Nachdenken, ihr Tun bleibt durchweg diffus.
Da Nolan trotz der dreistündigen Spielzeit keine Zeit für Denkpausen findet, erhalten seine Figuren keinen Raum zur Auseinandersetzung mit den Themen des Films. Die wissenschaftlichen Zweifel, die moralischen Dilemmata, die politischen Differenzen, all das bleibt bloße Behauptung, die uns das Drehbuch in Stichwörtern hinwirft. Es wird viel geredet, aber wenig gesagt in diesem Film, der seine Figuren nie ins Konkrete lässt. Jeder Ansatz von Reflexion wird zerredet oder durch einen Sprung zur nächsten Erzählebene unterbrochen.
Zwar gelingt es Oppenheimer so, den Strudel der historischen Ereignisse erlebbar zu machen – tausende Rädchen aus Wissenschaft, Militär und Politik wirken zusammen, ohne die Folgen ihrer Arbeit sehen zu können. Doch der 75 Jahre später entstandene Film besitzt den Überblick, der den Figuren fehlt. Dennoch bezieht Nolan keine Position zu den gezeigten Ereignissen – Oppenheimer wischt mit seiner Geschwätzigkeit jede Haltung beiseite und begnügt sich damit, die Ereignisse wertungsfrei in hübschen Bildern zu verpacken.
In der Folge wirkt der Film oft seltsam unbeteiligt. Die Entwicklung der Atombombe läuft erstaunlich glatt, da das Wettrüsten mit Nazideutschland und die wissenschaftlichen Probleme kaum thematisiert werden. Anstatt uns die Rückschläge und Erfolge des technischen Fortschritts auf spannende Weise zu zeigen, lässt Nolan seine Protagonisten nur darüber reden. Dementsprechend verlaufen die ersten zwei Stunden des Films nicht nur aus inhaltlicher, sondern auch aus dramaturgischer Sicht mau.
Als Biografie hat Nolans Werk auch nichts beizutragen – Robert Oppenheimer bleibt ein enigmatischer Protagonist, daran ändert auch die eindringliche Darstellung durch Cillian Murphy nichts. Im Gegensatz zu den meisten anderen Biopics betracht Oppenheimer das Geschehen nicht aus der Perspektive seiner Hauptfigur, statt dessen subjektiver Weltsicht nutzt Nolan eine Distanz, die den Film eher zum Porträt einer Zeit als einer Person macht.
Doch gerade im Persönlichen liegt die Stärke eines Biopics, wie Oppenheimer auch beweist. Im letzten Drittel gewinnt der Film die zuvor vermisste Dringlichkeit, weil viele Themen schon abgehandelt sind und die Plotstränge sich vereint auf die Anhörung des Protagonisten ausrichten. Der Zweikampf zwischen Oppenheimer und seinem Gegenspieler ist das spannendste Element des Films, weil es eine persönliche Fehde ist. Die abstrakten Motive weichen hier endlich mal dem Konkreten.
Im letzten Drittel kommt die im besten Sinne altmodische Qualität von Oppenheimer zur Geltung. Abseits der fragmentarischen Narration bleiben nicht Nolans große Bilder oder das makellose Produktionsdesign in Erinnerung, sondern vor allem das bis in die Nebenrollen herausragend besetzte Ensemble, das von der Dialoglastigkeit profitiert. Dass wir Robert Downey Jr. nach 15 Jahren im Superheldenfilm mal wieder als richtigen Schauspieler sehen können, ist eine große Freude.
Dennoch gelingt es Oppenheimer erst in den letzten Minuten, ein Gefühl für das Gewicht seiner Themen zu vermitteln. Im Vergleich zu deutlich eindringlicheren Werken wie The War Game, Briefe eines Toten, Threads oder Hiroshima mon amour ist das zu wenig.
★★★☆☆☆
Drama
Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.