Zwischenfall im Atlantik

Ein Film von James B. Harris

Genre: Thriller

 

 | Erscheinungsjahr: 1965

 | Jahrzehnt: 1960 - 1969

 | Produktionsland: GroßbritannienUSA

 

Zwischenfall im Atlantik bricht den Kalten Krieg auf einen amerikanischen Kreuzer und ein russisches U-Boot herunter. Der fesselnde Thriller baut sein Szenario ambivalent auf und untersucht anhand seiner komplexen Charaktere grundsätzliche Fragen in der Auseinandersetzung zwischen den Weltmächten.

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Filmkritik:

Zwischenfall im Atlantik setzt kurz nach der Kuba-Krise ein: Der Kalte Krieg bewegt sich noch immer dicht an der Eskalation, weshalb der Kapitän des amerikanischen Zerstörers USS Bedford ein strenges Regiment führt. Als das Schiff auf ein russisches U-Boot stößt, sieht Captain Finlander eine Gelegenheit, um Stärke zu beweisen. Er setzt zur Verfolgung an und entfesselt ein Nervenspiel mit offenem Ausgang.

Von Beginn an bindet uns der Film intelligent in das Geschehen ein: Er startet an Bord eines Hubschraubers, der zwei neue Besatzungsmitglieder zum Schiff transportiert. Mit ihnen seilen auch wir uns ab und gehören fortan gewissermaßen zur Crew – der Film spielt sich ausschließlich auf dem Zerstörer ab, an dessen Schicksal uns Regisseur James B. Harris kettet.

Harris machte sich als Produzent früher Werke von Stanley Kubrick (Die Rechnung ging nicht auf, Wege zum Ruhm) einen Namen und legte mit Zwischenfall im Atlantik ein souveränes Regiedebüt vor.

Sein Film folgt der klassischen Drehbuchschule und baut sowohl einen inneren als auch einen äußeren Konflikt auf. Den Rahmen diktiert das Katz- und Maus-Spiel zwischen dem Zerstörer und dem U-Boot, die einander im Eismeer vor der Küste Grönlands belauern; für zusätzlichen Druck sorgen die Spannungen zwischen Captain Finlander und den beiden von ihm unerwünschten Neuzugängen.

Diese hinterfragen das Regime des Offiziers schon von Berufs wegen: Der neue Mannschaftsarzt (Martin Balsam) stellt Humanismus über Militarismus, der Journalist (Sidney Poitier) untersucht die kriegerische Ideologie auf dem Schiff nach zivilen Maßstäben. Mit ihrer kritischen Haltung brechen die beiden Figuren die vermeintlich simple militärische Weltsicht auf und eröffnen Grundsatzfragen.

Als Folge daraus nimmt Zwischenfall im Atlantik eine uneindeutige Perspektive ein. Obwohl Harris‘ Werk mitten im Kalten Krieg produziert wurde, verweigert es sich propagandistischen Anwandlungen und lässt die amerikanischen Streitkräfte eher in einem negativen Licht erscheinen. Zu diesem Eindruck trägt insbesondere Captain Finlander bei, der sich zur zentralen Figur des Films entwickelt und aufgrund seiner vielschichtigen Figurenzeichnung bis zuletzt Rätsel aufgibt.

Mit seiner Kompromisslosigkeit gelingt es Finlander, die Mannschaft zur Höchstleistung zu treiben, doch hinter seiner Führungskraft scheint eine latente Manie zu schlummern, die schwer zu fassen ist. Ob es sich dabei um glühende Vaterlandsliebe, brennenden Ehrgeiz oder blinden Hass auf den Feind handelt, zählt zu den spannenden Fragen des Films, der uns zunehmend an Finlanders Entscheidungskraft zweifeln lässt.

Der Offizier gleicht mehr und mehr einem Kapitän Ahab des nuklearen Zeitalters und scheint bisweilen Probleme zu haben, seinen verborgenen inneren Drang zu zügeln. Richard Widmark spielt diesen schwierigen Charakter fabelhaft: Mit seiner Autorität reißt er die Szenen förmlich an sich, seine Mimik gleicht dem atlantischen Eismeer – wechselhaft an der Oberfläche, undurchdringlich in der Tiefe.

Passend dazu spielt das Sonar der USS Bedford eine interessante Rolle: Das omnipräsente, nach U-Booten tastende Piepen begleitet nicht nur die Annäherungen zwischen Zerstörer und U-Boot, sondern scheint auch im gleichen Maße die Spannungen auf der Brücke zu spiegeln. Insbesondere im letzten Drittel des Films illustriert es symptomatisch das angespannte Schweigen und die feindseligen Blicke zwischen den Protagonisten.

Weil Captain Finlander die inneren Konflikte nicht lösen kann, scheitert er auch an den äußeren. James B. Harris inszeniert das Finale auf außergewöhnliche Weise: Anstatt das Geschehen weiter zu steigern, schließt er den Film nahezu ansatzlos ab. Der dramaturgische Gipfel scheint gerade überwunden zu sein, als eine lange vorbereitete Kette an Umständen eintritt, die binnen Sekunden das Ende vollziehen – ein in höchster Konsequenz inszenierter Antiklimax mit beachtlicher Wirkung.

Das abrupte Finale mag das Publikum vor den Kopf stoßen, es betont jedoch auch auf effektvolle Weise die schmale Grenze zwischen Alltag und Ausnahmezustand, die so charakteristisch für den Kalten Krieg war. Die Wucht der letzten Momente setzt erst verzögert ein und verleiht Zwischenfall im Atlantik retrospektiv eine mahnende Wirkung.

Wie Sidney Lumets ein Jahr zuvor veröffentlichter Klassiker Angriffsziel Moskau kombiniert auch Harris‘ Film Genrekino mit einer Deutung des Zeitgeschehens. Beide Werken eint, dass sie ihr Sujet nicht nur als Folie für plumpes Spannungskino nutzen, sondern die Genre-Elemente einsetzen, um sich dem Thema unmittelbarer nähern zu können und es erfahrbar machen. Zwischenfall im Atlantik gelingt das ausgezeichnet.

★★★★☆☆

1960 – 1969

Die Sechziger Jahre zählen zu den revolutionärsten Jahrzehnten der Kinogeschichte. Mehrere Strömungen – die neuen Wellen – verschoben künstlerische Grenzen und modernisierten die Filmsprache. Viele Regisseure ließen die themen der vorherigen Generationen hinter sich und drehten freiere, gesellschaftskritischere Werke.

Thriller

Ähnlich wie der Actionfilm basiert auch das Thriller-Genre nicht auf inhaltlichen, sondern auf formalen Gesichtspunkten. Eine größtmögliche, im Optimalfall konstant gehaltene Spannung ist das Ziel. Dafür bedienen sich Thriller in der Regel einer konkreten Bedrohungslage. Wird die Gefahr überwiegend über Andeutungen und Suspense transportiert, findet gerne der Terminus Psychothriller Anwendung.