Apocalypse Now

Ein Film von Francis Ford Coppola

 | Strömung: New Hollywood

 | Erscheinungsjahr: 1979

 | Jahrzehnt: 1970 - 1979

 | Produktionsland: USA

 

Apocalypse Now steht beispielhaft für das kompromisslose Filmemachen und den unangepassten Geist des New Hollywood-Kinos. Francis Ford Coppolas Antikriegsfilm gewann bei den Filmfestspielen von Cannes die Goldene Palme und hat sich mit ikonischen Szenen in das kollektive popkulturelle Gedächtnis eingebrannt.

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Filmkritik:

Apocalypse Now ist ein Road-Movie: Wir begleiten einen Soldaten der Special Forces auf einem Geheimauftrag per Boot quer durch die Flusslandschaft Vietnams. Captain Willard soll den genialen, aber wahnsinnig gewordenen US-Offizier Kurtz liquidieren, der sich zum Gottkönig von Eingeborenen in Kambodscha erhoben hat. Die Bootsfahrt konfrontiert Willard und seine Crew in immer neuen Episoden mit der Absurdität des Krieges und den Grenzen ihres Verstandes.

Coppolas Film fußt auf einem der großen Klassiker der englischsprachigen Literatur: Joseph Conrads 1902 erschienener Kurzroman Herz der Finsternis schildert die Reise eines Elfenbeinagenten durch das kolonialisierte Afrika. Auch hier folgt der Protagonist dem Fluss, um einen mythisch überhöhten Handelspostenleiter namens Kurtz zu treffen. Herz der Finsternis schildert auf lebendige Weise das Afrika seiner Zeit und hinterfragt den britischen Kolonialismus.

Bereits 1940 plante Orson Welles eine Adaption des Stoffes für sein Regiedebüt, doch aufgrund der schwergängigen Themen und des hohen Produktionsaufwands wurden die Pläne eingestampft. 1972 bewies Werner Herzog mit Aguirre, der Zorn Gottes (in der ihm eigenen wahnwitzigen Weise), dass ein fiebriger Dschungelalbtraum auch mit moderatem Budget realisierbar war.

Zeitgleich feierte Francis Ford Coppola mit Der Pate einen Sensationserfolg, der ihn über Nacht in die Riege der führenden Filmemacher erhob. Coppola bestätigte seinen Ruf mit den Meisterwerken Der Dialog und Der Pate II. Das New Hollywood-Kino überstrahlte die amerikanische Filmlandschaft und gab seinen jungen Regisseuren eine ungeahnte Narrenfreiheit; Coppola nutzte diese Gelegenheit, um Apocalypse Now zu drehen.

John Milius hatte Conrads Roman zu einem Drehbuch umgeschrieben und das Geschehen vom Afrika des 19. Jahrhunderts in das kriegsversehrte Vietnam verlegt, die grundlegende Handlung jedoch beibehalten. Coppola bekam grünes Licht von United Artists und produzierte den Film über sein zusammen mit George Lucas gegründetes Studio American Zoetrope. Und dann ging alles schief, wie das berühmte Zitat aus der Pressekonferenz in Cannes belegt:

„The movie is not about Vietnam. It is Vietnam. We were in the jungle. There were too many of us. We had access to too much money, too much equipment – and little by little, we went insane.“

Coppolas Ehefrau Eleanor hielt die längst legendären Schwierigkeiten der Produktion auf den Philippinen in ihrem Dokumentarfilm Hearts of Darkness fest. Statt der geplanten vier Monate zogen sich die Dreharbeiten schließlich 15 Monate lang hin, was zu einer Verdopplung des Budgets führte und Coppola als Produzent zwang, den größten Teil seines Privatvermögens zu investieren.

Die Probleme waren mannigfaltig: Noch während der Dreharbeiten arbeitete Coppola das Drehbuch laufend um und hatte bis zuletzt keine Idee für das Finale des Films; ein Taifun ruinierte die Sets und legte die Produktion lahm; der philippinische Diktator Marcos zog die gestellten Hubschrauber spontan für echte Einsätze ab.

Zudem hatte der Regisseur mit den Schauspielern zu kämpfen: Zwei Wochen nach Drehbeginn ersetzte er Hauptdarsteller Harvey Keitel durch den alkoholkranken Martin Sheen, der aufgrund der kräftezehrenden Arbeit einen Herzinfarkt erlitt und die Produktion ein weiteres Mal zum Stillstand brachte. Mit dem überkandidelten Dennis Hopper und dem übergewichtigen Marlon Brando musste Coppola zwei Diven bei Laune halten.

Der künstlerische und finanzielle Druck prägte sich in den Film ein – wie in Werner Herzogs Dschungelabenteuern Aguirre und Fitzcarraldo transzendierte die Produktion von Apocalypse Now das Sujet; der Irrsinn des Krieges und der Wahnsinn der Dreharbeiten kulminierten in einer von allen Fesseln konventionellen Filmemachens befreiten Odyssee.

Im Gegensatz zum griechischen Namensgeber wird es für Captain Willard keine Rückkehr geben. „This is the end“ verkünden The Doors schon im fantastischen Intro. Im Folgenden transportiert Apocalypse Now Willards Innenleben über ein Voice-over, das als Reisetagebuch dient. „I wanted a mission, and for my sins, they gave me one.“ Willard erscheint völlig entrückt vom Geschehen, wie ein Geist watet er durch Schlamm und Gemetzel, seltsam unberührbar und damit die perfekte Projektionsfläche für unseren Zuschauerblick.

Apocalypse Now ist im doppelten Sinne ein Road-Movie: Die physische Reise nach Kambodscha gibt mit all ihren externen Gefahren den erzählerischen Rahmen vor; die eigentliche Reise findet jedoch im Inneren der Figuren statt. Willard und seine Kameraden müssen sich zwangsläufig der irrsinnigen Logik des Krieges hingeben, ihr ziviles Ich aufgeben und diese Lücke füllen. Es steht nicht infrage, ob sie Colonel Kurtz erreichen, sondern ob sie ihn je wieder verlassen.

In der Irrationalität des Geschehens liegt der fundamentale Unterschied zu Full Metal Jacket, dem zweiten amerikanischen Meisterwerk des Antikriegsfilms. Stanley Kubrick schildert den Krieg als menschengemachtes System, bei dem viele Räder rational ineinandergreifen; in Apocalypse Now regiert hingegen das Chaos, Coppola setzt den Krieg als wilde Oper in Szene, die von teuflischen Karikaturen bevölkert wird.

Die Kamera von Vittorio Storaro schwelgt in Napalmfeuer und Leuchtspurmunition, vielfarbigem Signalfackelrauch, Dschungel und Matsch. Storaros sinnliche Bilder eröffnen den Raum für das irrationale Kriegsfieber, das sämtliche Protagonisten infiziert hat und auch vor uns Zuschauern nicht halt macht. Daher kommt Apocalypse Now ohne dramaturgische Spitzen aus – er benötigt weder Hochspannung noch Daueraction, sondern hält uns mühelos in einem Stadium fortwährenden Staunens.

Die 147 Minuten „kurze“ Kinofassung lässt dafür etwas weniger Raum als der von Coppola favorisierte 175-minütige Final Cut. Mir gefällt die Redux-Fassung (196 Minuten) nach wie vor am besten, weil sie der Erzählung noch mehrere Umwege zugesteht und den Reisecharakter verstärkt. In jedem Fall ist Apocalypse Now eines der definitiven Meisterwerke der Kinogeschichte. Wer den Horror einmal gesehen hat, wird ihn nicht mehr vergessen.

★★★★★★

Francis Ford Coppola

Francis Ford Coppola eroberte die Filmwelt schon im Alter von 31: Mit einer Reihe von Meisterwerken machte sich der Regisseur in den Siebziger Jahren unsterblich. Als führender Vertreter einer neuen Generation von Filmemachern ließ er sich trotz seines Erfolgs nicht vom Studiosystem vereinnahmen und gründete früh seine eigene Produktionsfirma. Dank dieser Freiheit konnte er “kleine” Filme drehen und aufstrebende Jungregisseure fördern.

(Anti)Kriegsfilm

Obwohl das Genre auf ein spezifisches Thema festgelegt ist, bieten sich dem Betrachter eine Vielzahl Subtexte und Motive. Während Kriegsfilme sich vornehmlich auf Abenteuer, Kameradschaft und Heldenmut konzentrieren, eröffnen sich im Antikriegsfilm eine Vielzahl von Themen: Moral und Menschenrechte, der Horror und die Absurdität des täglichen Grauens oder die perverse Systematik dahinter.