Schiff nach Indialand
Ein Film von Ingmar Bergman
Der dritte Film von Ingmar Bergman ist noch klar als Frühwerk zu erkennen. Das Melodram Schiff nach Indialand bleibt trotz interessanter Ansätze in Konventionen verhaftet; Bergman gelingt es noch nicht, die Standards aufzubrechen und eine eigene Handschrift durchzusetzen.
Diese Kritik ist Teil einer langfristigen Retrospektive zu Ingmar Bergman. Alle Infos dazu sind hier zu finden.
Filmkritik:
Wie schon in seinem Debütfilm Krise verfilmte Bergman ein Theaterstück über familiäre Konflikte. Schiff nach Indialand spielt über weite Strecken auf einem alten Kahn, der gesunkene Schiffe hebt und abwrackt. Es handelt sich um ein Familienunternehmen, angeführt von einem barschen Kapitän, der seine Frau links liegen lässt und seinen Sohn unterdrückt. Als sich Vater und Sohn in eine Varietésängerin verlieben, droht die Familie endgültig zu zerbrechen.
Schiff nach Indialand orientiert sich am Poetischen Realismus, dessen Regisseure zu Bergmans Vorbildern zählten. Im Gegensatz zur französischen Strömung mit ihren Eisenbahnern und Hafenarbeitern verzichtet der Schwede auf eine ausführliche Schilderung des Milieus. Hier werden die Protagonisten nicht durch ihre äußere Lebenswelt, sondern durch ihr Inneres definiert.
Allerdings gelingt es dem jungen Ingmar Bergman kaum, zur Seele seiner Figuren vorzudringen. Die Anlage der Protagonisten ist mehr motivistisch als psychologisch geprägt, sie bleiben eindimensionale Archetypen im Dienst der Handlung.
Der Plot verläuft ebenfalls konventionell, er gönnt sich eine (zu) ausführliche Exposition und baut Konflikte auf, die aufgrund der Figurenkonstellation vorhersehbar bleiben und keinen Tiefgang gewinnen. Erst im letzten Drittel erhöht Schiff nach Indialand das Tempo und stößt eine Entwicklung der Protagonisten an.
Zuvor kommt Bergman nicht über Ansätze hinaus, ohne diese zu verwerten. Er erzählt uns vom Sohn, der schon im Kindesalter lernen musste, sich vor den Flüchen und der Prügel des Vaters wegzuducken, und im Lauf der Jahre einen Buckel entwickelt hat – einen wortwörtlichen Auswuchs der Psyche; auch den Vater ereilt ein Leiden, das aus dem Inneren kommt.
Dennoch zieht Bergman keine direkte Verbindung zwischen Innenleben und Außenwelt, die beiden Ebenen des Films existieren lose nebeneinander her und werden von den Konventionen des Melodrams eingezwängt.
Letztlich bleibt Kapitän Alexander Blom die einzige interessante Figur in Schiff nach Indialand; nur bei ihm treten zwei gegensätzliche Seiten zutage, die aus dem – beim späteren Bergman typischen – Konflikt zwischen der Realität und den ihr konträren Wünschen und Träumen resultieren.
Auch schauspielerisch bietet die Rolle am meisten: Holger Löwenadler spielt den oft betrunkenen, mal wütenden und mal melancholischen Tyrann ausgezeichnet. Wenn seine Figur eine Szene betritt, wissen wir nie, in welcher Stimmung sie sich befindet. Sie ist der Motor der Erzählung und hält den Film zusammen.
Im Stil kommt Schiff nach Indialand deutlich düsterer als Krise daher. Der Tonfall ist pessimistischer und lässt die Ironie von Bergmans Debütfilm vermissen; das mag konsequenter sein, macht aber auch einen biederen Eindruck. Die unscheinbare Kameraarbeit wird durch eine kontrastreiche Beleuchtung aufgewertet, Bergman setzt insbesondere die Innenräume als stimmungsvolle Schattenkabinette in Szene.
Bei der zweiten Auflage der Filmfestspiele von Cannes war Schiff nach Indialand im Wettbewerb vertreten, machte aber nur mit Pannen bei der Vorführung von sich reden. Produzent Lorens Marmstedt drängte Bergman zu deutlichen Kürzungen, doch der junge Regisseur zeigte sich zufrieden mit seinem „Meisterwerk“ und verweigerte diese. Jahre später revidierte Bergman seine Meinung und erkannte, dass Schiff nach Indialand weit vom Niveau späterer Arbeiten entfernt war.
★★★☆☆☆
Ingmar Bergman
In seinen rund 50 Filmen erforschte Ingmar Bergman die dunklen Seiten der menschlichen Psyche – Sex und Tod, Glaube und Hass nehmen zentrale Plätze im Schaffen des Schweden ein. Die düsteren Bilder unterstreichen diese Themenwahl nachhaltig und vermitteln oft eine Stimmung existenzieller Krisen. 1997 erhielt Bergman bei den Filmfestspielen in Cannes einen Sonderpreis als „bester Regisseur aller Zeiten“.
Drama
Der Dramabegriff dient als Auffangbecken für Filme, die sich keinem spezifischerem Genre zuordnen lassen. Dementsprechend viele Schattierungen ergeben sich: vom Sozial- über das Gesellschaftsdrama, das Melodram und die Tragikomödie. Die Gemeinsamkeiten dieser Subgenres liegen in realistischen, konfliktreichen Szenarien und einer Konzentration auf die Figuren.