Warum läuft Herr R. Amok?

Genre: Drama

 | Strömung: Neuer Deutscher Film

 | Erscheinungsjahr: 1970

 | Jahrzehnt: 1970 - 1979

 | Produktionsland: Deutschland

 

Warum läuft Herr R. Amok? zeichnet ein bedrückendes Bild vom Leben unter Spießbürgern und mutet seinen Zuschauern 80 Minuten lang erstarrte Leere zu. Mit dieser stilistischen Strenge bewahrt der Film seine Wirkung auch mehr als 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung.

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Filmkritik:

Der Film breitet einige Wochen aus dem Leben eines Mannes vor uns aus, der keine aktive Teilhabe am Leben findet. Herr R. ist technischer Zeichner, Ehemann und Vater eines Sohnes. Die Ehe verläuft harmonisch, aber oberflächlich, R. bleibt zurückhaltend und überlässt seiner Frau die Führung. Zu seinen Bürokollegen findet er keine Bindung, den Job selbst füllt er leidlich solide aus. Bekanntschaften werden gepflegt, ohne zu Freundschaften zu werden.

Es herrscht eine große Leere in dieser Darstellung des bürgerlichen Lebens. Die Reihenfolge der Szenen könnte beliebig vertauscht werden, weil nie etwas von Belang geschieht und weil sich nichts entwickelt – alles bleibt, wie es ist. Das heißt: Konventionen folgen, Wertvorstellungen pflegen, Fassaden aufrecht erhalten.

Damit folgt Warum läuft Herr R. Amok? Fassbinders garstigem Frühwerk Katzelmacher, verlegt die Erzählung aber aus der Mitte einer Gruppe hin zu einem Einzelschicksal. Das gibt dem Geschehen eine zusätzliche bittere Note: Es scheinen nicht länger alle Menschen unzufrieden zu sein, die meisten arrangieren sich mit der Leere und der Oberflächlichkeit, nur Herr R. ist dazu nicht in der Lage.

Dabei versteht er seine Lebenswelt wohl besser als die meisten seiner Mitmenschen, er erkennt das falsche Lächeln und das bürgerliche Gehabe als das, was es ist – reine Maske, reine Pose. Die Tragik liegt darin, dass Herr R. sich nicht artikulieren kann und nicht in der Lage ist, sein Umfeld zu ändern. Wenn er versucht, das Spiel der Gemeinschaft mitzuspielen, macht er sich prompt zum Narren, weil er die Posen nicht beherrscht.

Immer wieder erzählt Fassbinder von solchen Außenseitern, Warum läuft Herr R. Amok? lässt sich als Prototyp späterer Arbeiten wie Händler der vier Jahreszeiten oder Faustrecht der Freiheit lesen. Trotz der typischen Themen und der Auftritte von einigen Stammdarstellern ist Warum läuft Herr R. Amok? nicht ohne Weiteres als Fassbinder-Film einzuordnen. Der Name des Regisseurs mag schon aufgrund der besseren Vermarktbarkeit im Vordergrund stehen, bei den Dreharbeiten war er jedoch selten anwesend.

Die genaue Beteiligung lässt sich rückwirkend nicht trennscharf in Erfahrung bringen. Es ist anzunehmen, dass Fassbinder am Szenario und der Vorproduktion beteiligt war, die Dreharbeiten aber von Co-Regisseur Michael Fengler geleitet wurden. Das macht sich insbesondere in den frei improvisierten Dialogen bemerkbar, die es unter Fassbinder so nicht gegeben hätte. Fenglers Dialoge bleiben oberflächlich und führen meist ins Nichts, was für eine enervierende Stimmung sorgt, zumal Herr R. oft unbeteiligt daneben sitzt.

Die fehlende Bedeutung des gesprochenen Wortes verstärkt die Kamera noch durch einen desinteressierten Blick. Sie erzählt nichts, sie hält nur distanziert fest und oft nicht einmal das. Wie ein unbeteiligter Zuschauer zoomt sie scheinbar willkürlich auf die Gesichter und ignoriert damit regelmäßig die außerhalb des Bildrahmens stattfindende Interaktion.

Somit erweist sich Warum läuft Herr R. Amok? sowohl inhaltlich als auch formal als Zumutung für uns Zuschauer und nahm damit die Werke von Michael Haneke vorweg, der in seinem Debütfilm Der siebente Kontinent einen ähnlichen Weg wählte. Beide Filme konfrontieren uns mit der starren Lebenswelt der Protagonisten und fördern in dieser Leere eine versteckte Aggression zutage.

Selbst das in seiner Plötzlichkeit überraschende Finale von Warum läuft Herr R. Amok? kann die Kälte des Films nicht vertreiben. Fengler und Fassbinder ist ein wahrhaft unbequemes Werk geglückt, das durch seine Konsequenz beeindruckt. Dafür opfert der Film allerdings die inhaltliche Tiefe – beim Abspann bleibt allerdings wenig mehr zurück als die Frage, warum die anderen Figuren nicht auch Amok laufen. Andere Filme von Fassbinder haben da mehr zu sagen.

★★★★☆☆

Rainer Werner Fassbinder

Rainer Werner Fassbinder zählt zu den wichtigsten deutschen Regisseuren und gilt als Vorreiter des Neuen Deutschen Films. Fassbinder lebte für das Kino und arbeitete ununterbrochen. Obwohl er mit nur 37 Jahren starb, umfasst seine Vita mehr als 40 Spielfilme und zwei TV-Serien. Der Regisseur vereinte seine Vorliebe für Genrefilme und Melodramen mit klugen, oft kritischen Beobachtungen gesellschaftlicher Entwicklungen.

Neuer Deutscher Film

Der Neue Deutsche Film grenzte sich vom populären Unterhaltungskino ab. Die Regisseure der Strömung arbeiteten unabhängig von den Studios und drehten als Autorenfilmer Werke mit vornehmlich gesellschaftlichen und politischen Bezügen. Neben der inhaltlichen Neuorientierung suchte der Neue Deutsche Film auch nach anderen Ausdrucksformen und setzte dem konventionellen Kino sowohl poetischere als auch radikalere Bilder entgegen.