Der Fremde im Zug

Ein Film von Alfred Hitchcock

 

 | Erscheinungsjahr: 1951

 | Jahrzehnt: 1950 - 1959

 | Produktionsland: USA

 

Kurz vor Alfred Hitchcocks großen amerikanischen Farbklassikern wie Bei Anruf: Mord und Das Fenster zum Hof entstanden, droht Der Fremde im Zug in dessen Filmografie ein wenig unterzugehen. Zu Unrecht, denn der Thriller serviert auf der Basis einer effektvollen Handlung die für Hitchcock archetypische Mischung aus Suspense und verruchtem Humor mit handwerklicher Meisterschaft.

Copyright

Filmkritik:

Der Plot stammt aus der Feder von Patricia Highsmith, die Hitchcock ihren Debütroman zur Verfügung stellte. Niemand Geringeres als Krimilegende Raymond Chandler adaptierte den Stoff für die Drehbuchfassung.

Doch obwohl Chandlers vorherige Arbeiten zu großartigen Film Noirs wie Mord, mein Liebling oder Tote schlafen fest führte, fanden seine Skriptfassungen bei Hitchcock wenig Anklang, sodass Chandler der Auftrag letztlich entzogen wurde und nicht mehr nachvollziehbar ist, wie viel Chandler noch im Drehbuch steckt.

Unzweifelhaft schlagen sich hingegen Hitchcocks Lieblingsthemen nieder: Einmal mehr sinniert der Regisseur, wie schon zuvor in Cocktail für eine Leiche, über den perfekten Mord und erneut sieht sich ein Unschuldiger den Folgen eines Verbrechens ausgesetzt, das er auflösen muss, um sich selbst zu retten.

Der eigentliche Täter, ein psychopathischer Mörder mit Mutterkomplex und Vaterhass, zählt zu den hinreißendsten Schurken des hitchcockschen Œuvres. Mit seiner unberechenbaren Mischung aus vordergründiger Jovialität und gärenden geistigen Defiziten zieht er das Zuschauerinteresse magnetisch auf sich. Auch ein Verdienst des Darstellers Robert Walker, der leider kurz nach Beendigung der Dreharbeiten verstarb.

Die Dualität der beiden Figuren schafft Raum für die bei Hitchcock so beliebten süffisanten Anspielungen: Einerseits besteht zwischen den beiden Männern eine spürbare Anziehungskraft, die nach eigenem Gusto als homoerotisch interpretiert werden kann und sich durch ein reizvolles Spiel aus räumlicher Nähe und Trennung ausdrückt, andererseits lässt der Film auch den Schluss zu, es bestehe mehr als eine geistige Verwandtschaft.

Unabhängig von der Frage, ob es sich um gar um eine einzige Person mit dissoziativer Persönlichkeitsspaltung handelt, gelingt es Hitchcock bravourös, auch uns Zuschauern in eine Beziehung zum Täter zu setzen und unseren Voyeurismus anzufachen.

In einer brillant inszenierten zentralen Sequenz von Der Fremde im Zug begleiten wir den Psychopathen auf einen Jahrmarkt, wo er mittels eines gekonnten, beinahe tänzerischen Spiels, ein unsympathisches weibliches Opfer umschleicht. Hitchcock setzt nicht nur den Mord selbst großartig in Szene (er spiegelt sich in den Gläsern der auf den Boden gefallenen Brille der Frau), wir empfinden das Geschehen auch unwillkürlich positiv konnotiert – die betrügerische Schnepfe ist tot und dem Täter ein besonderes Schurkenstück geglückt.

Der Fremde im Zug hat zahlreiche weitere Highlights in petto und fesselt vor allem im letzten Drittel mit dem vielleicht spannendsten Tennismatch der Filmgeschichte, einem superb parallel montierten Missgeschick des Antagonisten und dem temporeichen Finale. Damit unterhält Hitchcocks Werk trotz einiger inhaltlicher Leerstellen durchgängig.

Darüber hinaus überzeugt auch die visuelle Ebene des Films, Der Fremde im Zug zählt zu den eindrucksvollsten Schwarz-Weiß-Filmen Hitchcocks. Was zunächst noch an die Gestaltung des aufkommenden Film Noirs erinnert, geht eigentlich noch einen Schritt weiter und besinnt sich auf den Expressionismus deutscher Stummfilme, was sich insbesondere in den ungewöhnlichen Perspektiven widerspiegelt und auch Kameramann Robert Burks zuzuschreiben ist. Hitchcock und Burks bildeten in der Folge für insgesamt zwölf Filme eine konstruktive Arbeitsgemeinschaft.

Der Fremde im Zug mag nicht zu den bekanntesten Filmen des Master of Suspense zählen, er unterhält jedoch vorzüglich mit sämtlichen Qualitäten, die der britische Meisterregisseur zu bieten hat.

★★★★★☆

Alfred Hitchcock

Alfred Hitchcock ist wohl der bekannteste Regisseur der Welt. Diesen Ruf erwarb sich der Brite mit einer cleveren Selbstvermarktung, aber auch durch unzählige Meisterwerke. Im Lauf seiner 50-jährigen Karriere sicherte sich Hitchcock eine größtmögliche künstlerische Freiheit und schuf dank seiner handwerklichen Brillanz fesselnde Krimis und Thriller, die ihm den Beinamen Master of Suspense einbrachten.

Thriller

Ähnlich wie der Actionfilm basiert auch das Thriller-Genre nicht auf inhaltlichen, sondern auf formalen Gesichtspunkten. Eine größtmögliche, im Optimalfall konstant gehaltene Spannung ist das Ziel. Dafür bedienen sich Thriller in der Regel einer konkreten Bedrohungslage. Wird die Gefahr überwiegend über Andeutungen und Suspense transportiert, findet gerne der Terminus Psychothriller Anwendung.