Die Narbenhand

Ein Film von Frank Tuttle

Genre: Kriminalfilm

 | Strömung: Film Noir

 | Erscheinungsjahr: 1942

 | Jahrzehnt: 1940 - 1949

 | Produktionsland: USA

 

Der frühe Film Noir Die Narbenhand schuf das Rollenbild des einsamen Auftragskillers und etablierte so den ersten Antihelden der Filmgeschichte. Der 78 Minuten kurze B-Thriller lieferte damit die Vorlage für zahllose Ikonen des Kinos und überrascht mit einer für damalige Verhältnisse ungewohnten Härte.

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Filmkritik:

20 Jahre bevor Yojimbo und Für eine Handvoll Dollar den Typus des Antihelden populär machten, führte Die Narbenhand seinen Protagonisten auf unerhörte Weise ein: Erst schlägt Philip Raven seine Putzfrau, kurz darauf erschießt er ohne mit der Wimper zu zucken eine Zielperson und dessen zufällig anwesende Sekretärin. Sein dezentes Lächeln beweist: Dieser Mann kennt keinerlei Gewissensbisse.

Nach dem ruppigen Auftakt formt der Film den vermeintlichen Bösewicht zum Antihelden: Raven wird von seinen Auftraggebern gelinkt und richtet sich nun gegen sie, was ein moralisches Gleichgewicht schafft – ein Gangster, der es nicht mehr auf Unschuldige, sondern auf andere Gangster abgesehen hat, ist deutlich tragfähiger.

Das Drehbuch von W. R. Burnett schwächt die Vorlage von Graham Greene (Der dritte Mann) ab und entschärft den Protagonisten im Verlauf der Spielzeit immer weiter. Raven zeigt Sympathie gegenüber Katzen und Kindern, ein Kindheitstrauma liefert einen psychologischen Hintergrund und der Plot stellt einen Bezug zum Zweiten Weltkrieg her, sodass ausgerechnet der manische Individualist Raven sich in den Dienst der Allgemeinheit stellen muss.

Aller Abschwächungen zum Trotz bleibt von Die Narbenhand vor allem das Bild des schweigsamen Killers in Hut und Trenchcoat hängen, der zur Blaupause für die Protagonisten in Blast of Silence, Der eiskalte Engel oder Leon – Der Profi werden sollte.

Die heikle Hauptrolle ging an den unbekannten Alan Ladd, der jahrelang durch Nebenjobs und Statistenrollen getingelt war. Sein Schauspiellehrer fand ihn zu schüchtern und leise – die Rolle des kühlen Killers kam Ladd somit entgegen und brachte ihm den Durchbruch. Es folgten Hauptrollen in Kriminalfilmen und Western, insbesondere seine Darstellung in Mein großer Freund Shane genießt eine breite Wertschätzung.

Die Narbenhand brachte nicht nur Schwung in die Karriere von Alan Ladd, sondern bildet auch den Startpunkt einer Reihe von gemeinsamen Hauptrollen mit Veronica Lake. Das Traumpaar drehte zusammen vier Filme in sechs Jahren, auf Die Narbenhand folgten die ebenfalls sehenswerten Film Noirs Der gläserne Schlüssel und Die blaue Dahlie.

Ladd und Lake finden schon in dieser ersten Zusammenarbeit eine stimmige Chemie, die auch aus dem Kontrast zwischen Lakes naiver junger Frau und Ladds abgebrühten Killer entsteht. Die weibliche Hauptfigur bremst die unmoralischen Auswüchse des Protagonisten und hat die Aufgabe, ihn zurück auf einen gerechten Pfad zu führen – als moralische Instanz kann sie dem Antihelden die späte Absolution erteilen.

Aufgrund der kurzen Spielzeit kommt die Handlung schnell auf den Punkt: Die Narbenhand reiht effektiv Konfliktszenarien und Spannungsszenen aneinander. Dabei ist der Film von Frank Tuttle klar als früher Vertreter der Schwarzen Serie zu erkennen, er spielt vornehmlich in Innenräumen. Tuttle zählt zur Heerschar solider Handwerker, die fest bei den Studios angestellt waren und Filme am Fließband fertigten, ein Künstler mit eigenem Stil war er nicht.

Kameramann John F. Seitz, der zwei Jahre später mit Frau ohne Gewissen einen der schönsten und schwärzesten Film Noirs filmen sollte, findet einige gelungene Momente für das Spiel mit Licht und Schatten, dennoch überzeugt Die Narbenhand visuell nicht durchgängig. Am stärksten sind die Szenen, die on location statt im Studio gedreht wurden und dabei die Stärken späterer Noirs andeuten. Zu erwähnen ist auch der jung verstorbene Nebendarsteller Laird Cregar, der als windiger Gangster Leben in diesen manchmal etwas steifen Film bringt.

Die Narbenhand ist ein gelungener Film Noir, der als früher Vertreter nicht das Niveau der Meisterwerke der Schwarzen Serie erreicht, aber durch seine Hauptfigur auch aus filmhistorischer Perspektive sehr interessant ist.

★★★★☆☆

1940 – 1949

Das Kino der Vierziger Jahre spielte sich im Schatten des Zweiten Weltkrieges ab, weshalb die Werke der Ära zu den düstersten der Filmgeschichte zählen. Finstere Bilder und ein ernster Tonfall dominierten die Lichtspielhäuser: mit dem fatalistischen Film Noir in den Vereinigten Staaten und den pessimistischen Dramen des Italienischen Neorealismus in Europa.

Film Noir

Rund zwanzig Jahre lang bereicherte Hollywood die Kinos mit düster gestalteten Kriminalfilmen. Deren heruntergekommene Detektive und abgebrühte Femme fatales gingen ebenso in die Popkultur ein wie ihr pessimistischer Tonfall. Damit zählt die Schwarze Serie auch abseits seiner zahllosen Klassiker zu den einflussreichsten Strömungen der Filmgeschichte.