Barfuß durch die Hölle

Ein Film von Masaki Kobayashi

 

 | Erscheinungsjahr: 1959

 | Jahrzehnt: 1950 - 1959

 | Produktionsland: Japan

 

Die Barfuß durch die Hölle-Trilogie zählt zu den Referenzwerken des Antikriegsfilms. Das Epos von Masaki Kobayashi gewinnt seine Größe durch die Komplexität, mit der es schwierige Fragestellungen verhandelt, ohne an Konkretheit und Emotionalität einzubüßen. Der erste Teil ist wohl der kontroverseste und behandelt ein in Japan totgeschwiegenes Thema.

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Filmkritik:

Barfuß durch die Hölle ist die Adaption eines sechsbändigen Romans von Gomikawa Jumpei, den Kobayashi von vorneherein als Trilogie verfilmen wollte, um dem Umfang der Vorlage gerecht zu werden. In der ungekürzten Fassung beträgt die Gesamtspielzeit der drei Filme rund 10 Stunden, doch davon sollte sich niemand abschrecken lassen: Die 579 Minuten vergehen dank zahlreicher Höhepunkte wie im Flug und die enorme Länge ermöglicht eine tiefgreifende Filmerfahrung.

Die drei Filme begleiten den Werdegang eines jungen Mannes während des Zweiten Weltkrieges. Er heißt Kaji und vertritt entgegen der allgemeinen Kriegsbegeisterung pazifistische Überzeugungen, die ihn zwangsläufig zum Außenseiter abstempeln. Die Trilogie schildert seine Gewissenskonflikte und erzählt von der Schwierigkeit, sich inmitten einer unmenschlichen Zeit seine Menschlichkeit zu bewahren.

Der mar­ti­a­lische deutsche Titel ist daher etwas irreführend: Es handelt sich zwar klar um Antikriegsfilme, das Schlachtgetümmel bleibt jedoch größtenteils außen vor. Der japanische (Ningen no jōken) und der internationale (The Human Condition) Titel beschreiben den Inhalt deutlich besser. Barfuß durch die Hölle verhandelt komplexe Moralfragen, denkt über die gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen und das Wesen des Menschseins nach.

Der erste Teil startet mit einem Glücksfall: Dank eines idealistischen Aufsatzes entgeht Kaji der Wehrpflicht. In seiner These legt er dar, wie sich die Leistungsfähigkeit der chinesischen Zwangsarbeiter in der Mandschurei durch eine bessere Behandlung steigern lässt. Statt in einer Uniform landet Kaji in der Führungsposition eines Gefangenenlagers, wo er seine Theorie in der Praxis beweisen soll.

Die Zustände in dem Lager sind unzumutbar: Kaji erhält 600 halb verhungerte Kriegsgefangene und den Auftrag, die Leistung der Arbeiter um 20 % zu erhöhen. Damit gerät Kaji in einen Teufelskreis: Um den Gefangenen helfen zu können, muss seine Arbeit Erfolge bringen – doch das realitätsferne Soll kann nur durch die unmenschliche Behandlung der Arbeiter erreicht werden. Folgerichtig muss Kaji immer wieder zwischen seinen humanistischen Idealen und seiner Dienstpflicht wählen.

Neben diesem inneren Konflikt baut Barfuß durch die Hölle auch einen äußeren auf und lässt seinen Protagonisten zwischen alle Fronten geraten. Kajis in der Theorie geradlinige Haltung entwickelt sich zunehmend zum fremdbestimmten Schlingerkurs. Gegenüber den Häftlingen muss er sich für die Brutalität und Korruption seiner Aufseher rechtfertigen, gegenüber den Vorgesetzten für die Fluchtversuche der Gefangenen. Weil alle Fehler auf Kaji zurückfallen, unterminieren beide Seiten sein moralisches Handeln.

Barfuß durch die Hölle verdeutlich hervorragend die Komplexität der Situation und hält uns Kajis Ohnmacht vor Augen. Gnadenlos schaukelt das Drehbuch das Geschehen immer weiter hoch, ohne dabei aufgesetzt zu wirken. Dem Film gelingt eine messerscharfe Argumentation für die Verantwortung des Einzelnen, gerät aber nie zum plumpen Moralstück. Die negativen Folgen guter Taten bekommen viel Raum und fordern unser Reflexionsvermögen heraus.

Regisseur Masaki Kobayashi kannte das Sujet wie kaum ein anderer: Er diente während des Zweiten Weltkrieges selbst in der Mandschurei und verweigerte die Teilnahme an Kampfhandlungen ebenso wie die Annahme von Beförderungen. Nach dem Krieg fand er als Regieassistent von Keisuke Kinoshita den wohl passendsten Lehrmeister – beide Regisseure ignorierten Konventionen und scheuten Kompromisse.

Schon in Kobayashis Frühwerk zeigt sich die politisch linke Haltung des Regisseurs, der in I Will Buy You und dem großartigen The Inheritance die Amoral und den Materialismus der Nachkriegsgesellschaft anprangerte. Dabei entdeckte Kobayashi einen jungen Schauspieler, der sowohl Helden als auch Bösewichter spielen konnte. Der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Tatsuya Nakadai verkörperte eine innere Zerrissenheit, die ihn für die Hauptrolle in Barfuß durch die Hölle geradezu prädestinierte.

Damit gelang Nakadai der Durchbruch. Er reifte zu einem der größten Schauspieler seiner Generation heran und spielte fortan unter den wichtigsten Regisseuren: Mikio Naruse (When a Woman Ascends the Stairs), Akira Kurosawa (u.a. Zwischen Himmel und Hölle, Yojimbo, Kagemusha), Hiroshi Teshigahara (The Face of Another) und Kihachi Okamoto (Sword of Doom). Auch für Masaki Kobayashi bereicherte er weiter die Leinwand, im Meisterwerk Harakiri und in Samurai Rebellion.

Künstlerisch war Kobayashi über jeden Zweifel erhaben und lieferte einmal mehr imponierende Bilder und große Momente. Dennoch kam es zu Auseinandersetzungen zwischen dem Regisseur und seinem Studio Shochiku. Der zutiefst kritische Umgang mit der Kaiserlichen Armee, die Absage an jeglichen Heroismus und die Thematisierung japanischer Kriegsverbrechen kamen einem Tabubruch gleich, zumal Barfuß durch die Hölle 1959 erschien, als der Krieg noch in den Köpfen der Menschen präsent war.

Der erste Teil von Barfuß durch die Hölle ist daher der kontroverseste und das niederschmetternde Finale verfehlt seine Wirkung nicht. Gleichzeitig dient es lediglich als Auftakt für die strapazenreiche Entwicklung, der sich Kaji im zweiten Teil ausgesetzt sieht …

★★★★★★

Masaki Kobayashi

Masaki Kobayashi zählt zu den prägendsten Regisseuren seiner Ära. In seinen gesellschaftskritischen Arbeiten brach der Filmemacher mit dem japanischen Selbstverständnis und sinnierte über unbequeme Themen. Doch das hielt ihn nicht davon ab, sein Talent als Geschichtenerzähler auszuspielen und ein ums andere Mal seine handwerkliche Meisterschaft zu beweisen.

(Anti)Kriegsfilm

Obwohl das Genre auf ein spezifisches Thema festgelegt ist, bieten sich dem Betrachter eine Vielzahl Subtexte und Motive. Während Kriegsfilme sich vornehmlich auf Abenteuer, Kameradschaft und Heldenmut konzentrieren, eröffnen sich im Antikriegsfilm eine Vielzahl von Themen: Moral und Menschenrechte, der Horror und die Absurdität des täglichen Grauens oder die perverse Systematik dahinter.