Die Nouvelle Vague

Ein Überblick über die Erneuerungsbewegung, die das moderne Kino schuf

Einführung

Im Frankreich der Fünfziger Jahre rief eine neue Generation von Regisseuren zur Revolution auf: Weil das Medium Film in sperrigen Traditionen verhaftet sei und sein Potenzial als Kunstform ungenutzt ließe, dachten sie das Kino neu und traten die Nouvelle Vague – die neue Welle – los. Sie proklamierten den Regisseur als maßgeblichen Autor, radikalisierten die Filmsprache und brachen das vornehmlich literarische Fundament des Kinos mit selbstreflexiven und popkulturellen Elementen auf. Damit wischten sie den muffigen Status quo beiseite, begründeten das moderne Kino und traten weltweit neue Wellen los.

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Worum geht es bei der Nouvelle Vague?

Worum geht es bei der Nouvelle Vague?

Autoren- statt Produzentenkino

Filmszene aus Mittwoch zwischen 5 und 7

Die Nouvelle Vague ging auf Distanz zum klassischen Studiokino, das Filme als industrielle Auftragsarbeiten abwickelte und einen Großteil der Entscheidungsmacht in die Hände der Produzenten legte, die zuerst den kommerziellen Interessen verpflichtet waren.

Bei den Filmen der Nouvelle Vague unterlag hingegen dem Regisseur die Kontrolle, sodass er als maßgeblicher Autor seine persönliche künstlerische Vision umsetzen und darüber hinaus eine Handschrift entwickeln konnte, die sich durch das gesamte Schaffen ziehen sollte. Die Grundlage für dieses Konzept lieferte François Truffauts Autorentheorie, auf die in einem separaten Kapitel noch ausführlicher eingegangen wird.

Kino statt bebilderter Literatur

Filmszene aus Alphaville - Lemmy Caution gegen Alpha 60

Das Kino vor der Nouvelle Vague lässt sich als literarisch beschreiben – Filme erzählten dieselben Geschichten wie Romane, indem sie diese mit visuellen Mitteln nachstellten. Polemisch ausgedrückt, diente das Kino nur als Verlängerung der literarischen Kunst für den Konsum durch die breite Gesellschaft.

Mit dieser Zweitklassigkeit gaben sich die Vertreter der Nouvelle Vague nicht länger zufrieden. Das Medium Film sollte keine Buch-Geschichten, sondern dezidierte Kino-Geschichten erzählen und sich so als eigenständige Kunstform ersten Ranges behaupten. Um die Macht des Literarischen zu brechen, strebten die Regisseure nach neuen narrativen und inszenatorischen Ausdrucksformen.

Selbstreflexion

Filmszene aus Fahrstuhl zum Schafott

Die Regisseure der Nouvelle Vague arbeiteten daran, dem Medium Film eine eigenständige Identität zu verleihen. Ihre Werke betonen die Einzigartigkeit des Kinos, betrachten sich dabei selbst und fordern ihr Publikum zur Reflexion auf.

Selbst die Figuren richten sich bisweilen direkt an uns Zuschauer: In Eine Frau ist eine Frau denken die Figuren laut darüber nach, ob sie „eine Komödie oder eine Tragödie“ spielen, in Außer Atem unterhält sich der Protagonist während einer Autofahrt mit uns und in Schießen Sie auf den Pianisten bedeckt der Held die Brüste einer Bettgefährtin, „weil man so etwas im Film nicht zeigt“.

Postmoderne

Filmszene aus Who Are You, Polly Maggoo?

Zu diesen selbstreflexiven Bezügen gesellen sich postmoderne Ansätze, die den biederen Ernst des literarischen Kinos aufbrechen. So spielen die Werke der Nouvelle Vague etwa mit der Formelhaftigkeit von Genres, deren Plotelemente und Erzählmuster ironisch kommentiert oder verändert werden.

Das gilt auch für Figuren, die oft eine comichafte Note erhalten. Zu den Grundtugenden der Strömung zählt ein heiterer Tonfall, der selbst ernste Szenen mit einem Augenzwinkern versieht und uns mit dieser Meta-Ebene daran erinnert, das alles nur ein Film ist.

Sowohl die Selbstbezüge als auch die postmodernen Elemente finden sich inzwischen überall im Kino, etwa bei Quentin Tarantino, Jim Jarmusch und David Lynch.

Ein guter Einstiegsfilm

Ein guter Einstiegsfilm

Außer Atem

Außer Atem

Filmszene aus Außer Atem

Außer Atem eignet sich hervorragend für den Einstieg in die Nouvelle Vague. Jean-Luc Godards Klassiker machte die Strömung 1960 schlagartig populär, besticht durch eine souveräne Leichtigkeit und zieht daraus eine unerhörte Coolness.

Außerdem weist Außer Atem die typischen Elemente der Nouvelle Vague auf, was in den Referenzen auf das amerikanische Kino, der episodenhaften Erzählweise und den Maßstäbe setzenden Jump Cuts zum Tragen kommt.

Nebenbei imponiert der Film mit der lässigen Ästhetik des schwarz-weißen Paris und den gut aufgelegten Darstellern – Jean-Paul Belmondo als Möchtegern-Bogart und die zauberhafte Jean Seberg bilden ein tolles Gespann.

Top 8: Die besten Filme der Nouvelle Vague

Top 8: Die besten Filme der Nouvelle Vague

Filmszene aus Letztes Jahr in Marienbad

Letztes Jahr in Marienbad

Alain Resnais | 1961 | Frankreich

Letztes Jahr in Marienbad formulierte eine Einladung: Immer wieder aufs Neue dürfen wir dieses Monument der Filmgeschichte besuchen, uns in sein narratives Labyrinth begeben und stets neu entdecken. Das verwunschene Kurhotel und die ausschließlich aus Suggestionen bestehende Handlung aus der Feder von Alain Robbe-Grillet muten bei jeder Rückkehr anders an, denn Letztes Jahr in Marienbad lebt in besonderem Maße von der Imagination des Zuschauers. Die barocke Bilderflut und die hypnotische Orgelmusik leiten uns dazu an, unseren ganz eigenen Film zu sehen. Magischer kann Kino nicht sein.

Filmszene aus Paris gehört uns

Paris gehört uns

Jacques Rivette | 1961 | Frankreich

Paris gehört uns zählt zu den frühsten Vertretern der filmischen Postmoderne und entwirft ein ewiges Rätsel: Er handelt entweder vom Alltag einer orientierungslosen Studentin oder beschreibt eine geheime Verschwörung, die ganz Frankreich erfasst. Weil der Debütfilm von Jacques Rivette das Geschehen ausschließlich aus der Sicht der ahnungslosen Protagonistin erzählt, bleibt uns ein Großteil der möglichen Handlung verborgen. Mit seiner spröden Inszenierung verstärkt der Regisseur den Eindruck des Nicht-Fassbaren noch. Sein sperriger Kunstfilm verzichtet auf eine Auflösung und mag daher zunächst unbefriedigend wirken, sein zeitloses Mysterium kann so jedoch immer wieder aufs Neue erkundet werden.

Filmszene aus Das Irrlicht

Das Irrlicht

Louis Malle | 1963 | Frankreich

Mit viel Gefühl für Stil und Stimmung inszeniert Louis Malle in Das Irrlicht den melancholischen Abgesang eines Lebensmüden, der nach dem Alkoholentzug durch das fad gewordene Paris getrieben wird. In stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bildern fängt der Regisseur die Odyssee des Protagonisten ein und sinniert dabei über die Möglichkeiten unterschiedlicher Lebensentwürfe und die Frage, welcher Sinn dem Leben innewohnt. Die berühmte Klaviermusik von Eric Satie und das Schauspiel von Maurice Ronet gleichen einander in ihrem Minimalismus, in dem sich die ganze Welt verbirgt.

Filmszene aus Glück aus dem Blickwinkel des Mannes

Glück aus dem Blickwinkel des Mannes

Agnès Varda | 1965 | Frankreich

Mit Glück aus dem Blickwinkel des Mannes drehte Agnès Varda ein doppelbödiges Drama: Der Film schwelgt selig im Charme des französischen Kleinstadtlebens, die Stimmung ist durchweg lebensbejahend und die Bilder strahlen in fröhlichen Farben. Doch der Schein trügt, denn der Film manipuliert uns: Es handelt sich um einen feministischen Film aus Sicht eines Mannes, durch dessen subjektive Wahrnehmung wir das Geschehen erleben. Das von François verursachte Leid dämpft der Film auf leichte Irritationen hinunter, sodass Vardas Werk ein paradoxes Filmerlebnis bietet, das aufgewühlt zurücklässt.

Filmszene aus Hiroshima mon amour

Hiroshima mon amour

Alain Resnais | 1959 | Frankreich

Hiroshima mon amour zählt zu den frühen Vertretern der Nouvelle Vague und mutet bisweilen wie ein Essayfilm an. Getragen von den poetischen Dialogen der Schriftstellerin Marguerite Duras, begibt sich der Film in die Gedankenwelt seiner Protagonistin und lässt dabei Zeit und Ort sowie Bild und Ton mäandern. Aus den vielen Bruchstücken ergibt sich schließlich eine tragische Lebensgeschichte, die aufgrund der bemerkenswerten erzählerischen Form nur im Medium Film funktioniert. Deshalb bietet der schwermütige Klassiker von Alain Resnais eine besondere Filmerfahrung.

Filmszene aus Die Verachtung

Die Verachtung

Jean-Luc Godard | 1963 | Frankreich

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Alberto Moravia schildert Jean-Luc Godard in Die Verachtung das Auseinanderbrechen einer Ehe und erweitert den Plot noch durch einen Subtext, in dem er den Konflikt zwischen Kunst und Kommerz kommentiert. Godard zeigt sich deutlich gereift: Im Gegensatz zu manch vorheriger Arbeit stellt er sein handwerkliches Können in den Dienst der Geschichte; neben den herrlichen Sommerbildern bleibt insbesondere eine 30-minütige Dialogszene in Erinnerung, die zu den bemerkenswertesten der Kinogeschichte zählt. Dabei profitiert er auch von den Stars – Michel Piccoli, Brigitte Bardot und Jack Palance verleihen den schwierigen Figuren die wichtige Bodenhaftung.

Filmszene aus Fahrstuhl zum Schafott

Fahrstuhl zum Schafott

Louis Malle | 1958 | Frankreich

Film Noir auf französisch: Fahrstuhl zum Schafott kombiniert drei Erzählstränge zu einer verhängnisvollen Kriminalgeschichte mit ungewöhnlichem Ansatz. Der Film von Louis Malle ist nicht auf größtmögliche Spannung aus, sondern seziert das Scheitern seiner Protagonisten in quälender Langsamkeit und erzeugt so einen enormen Fatalismus. Die Protagonisten verrennen sich in ihre Pläne, werden durch Zufälle zurückgeworfen und sind letztlich niemals Herr ihres Schicksals. Dabei kleidet sich Fahrstuhl zum Schafott in edles Schwarz-Weiß und die legendäre Musik von Miles Davis.

Filmszene aus Elf Uhr nachts

Elf Uhr nachts

Jean-Luc Godard | 1965 | Frankreich

Elf Uhr nachts zählt zu den essenziellen Arbeiten Jean-Luc Godards und bringt dessen Schaffen auf den Punkt. Godard drehte eine Gangsterballade, erzählt als episodenhaftes Road-Movie im prächtigen Cinemascope seines Stammkameramanns Raoul Coutard. Elf Uhr nachts belegt Godards Liebe zum amerikanischen Genre-Kino, von dem er ein Best-of anfertigte: Der Film changiert ironisch zwischen unzähligen Versatzstücken – romantische Szenen, Gesangsnummern, comichafte Schlägereien und Verfolgungsjagden laufen ineinander. Damit lieferte Godard die Blaupause für das postmoderne Kino der Neunziger Jahre, Quentin Tarantino und die Coen-Brüder.

Filmszene aus Mittwoch zwischen 5 und 7

Mittwoch zwischen 5 und 7

Agnès Varda | 1962 | Frankreich

In Mittwoch zwischen 5 und 7 begleitet Agnès Varda eine junge Frau, die auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung wartet, beim Zeittotschlagen. Die ungewisse Situation verleiht dem Nichtstun eine ungewohnte Perspektive und betont den Wert und die Schönheit von Alltagsmomenten, die wir normalerweise kaum wertschätzen. Vardas Film beobachtet mehr als das er erzählt; der mal melancholische, mal fröhliche Tonfall sorgt dabei für Abwechslung. Nebenbei entwirft Mittwoch zwischen 5 und 7 eine Liebeserklärung an das sommerliche Paris.

Die Autorentheorie –

das Herzstück der Nouvelle Vague

Foto von François Truffaut

Da viele Regisseure der Strömung als Kritiker bei der Filmzeitschrift Cahiers du cinema begannen, gilt diese als Keimzelle der Nouvelle Vague. Unter den Redakteuren befand sich auch der junge François Truffaut, der 1954 mit einem 14-seitigen Artikel für Furore sorgte.

Unter dem Titel Eine gewisse Tendenz im französischen Film kritisierte Truffaut die Oberflächlichkeit des Kinos, hervorgerufen durch die fehlenden Ambitionen der Produzenten und Regisseure, die er eher als Auftragshandwerker denn als Künstler sah.

Filmszene aus Die Chinesin

Vor allem prangerte Truffaut die Bequemlichkeit der Drehbuchautoren an, die kaum originäre Stoffe, sondern reihenweise literarische Vorlagen adaptierten. Zudem monierte er den Umgang mit den Texten, die von den Autoren grob umgeschrieben wurden, um sie leichter verfilm- und vermarktbar zu machen.

Als Folge dieser Zustände stellte Truffaut die fehlende künstlerische Weiterentwicklung des Kinos fest und erteilte der alten Tradition der Qualität eine Absage, weil ihre Monotonie den Kinogänger vom Film entfremde.

Filmszene aus Die Geschichte der Nana S.

Verehrung äußerte Truffaut hingegen für die wenigen Regisseure, die aus dem Einerlei hervorstachen: Filmemacher wie Alfred Hitchcock, die eine eigene Handschrift entwickelt hatten und damit dem Diktat der Studios und Drehbücher trotzten.

Aufgrund dieser persönlichen Note besaßen die Filme dieser Vorreiter einen ganz eigenen Charakter – nicht mehr das Drehbuch, sondern dessen Inszenierung drückte einem Werk den Stempel auf.

Filmszene aus Elf Uhr nachts

Daraus schlussfolgerte Truffaut, ein moderner Film dürfe nicht länger ein unpersönliches Produkt vieler Beteiligter sein, sondern müsse einem maßgeblichen Autor unterstehen – dem Regisseur. Dieser sollte die volle inhaltliche und künstlerische Kontrolle erhalten, um eine persönliche Vision umsetzen zu können.

Diese Sichtweise wurde kontrovers diskutiert. Als Autorentheorie wurde sie vielfach angenommen und umgesetzt. Fortan bezeichneten sich viele Regisseure als Autorenfilmer. Wo früher Studios und Stars die Aushängeschilder der Kinobranche waren, erarbeiteten sich die Regisseure nun ebenfalls einen Ruf und stiegen zur Marke auf.

Die Vorbilder für die Nouvelle Vague

Die Vorbilder für die Nouvelle Vague

Kaum ein Regisseur der Nouvelle Vague hat das Filmhandwerk von der Pike auf in den Studios gelernt; die meisten holten sich ihr Wissen aus zweiter Hand, in Kinos und Filmklubs. Daher lohnt sich ein Blick auf ihre Lehrmeister – die Regisseure, die Godard und Co. von der Leinwand aus geprägt haben.

Neben französischen Filmemachern wie Jean Renoir und Robert Bresson fanden die jungen Cineasten ihre Inspiration vor allem im amerikanischen Genrekino und in charakteristischen B-Movies. Werfen wir also einen Blick auf einige ausgewählte Urheber dieser Werke:

Die Werke von Nicholas Ray zeichnen sich durch größtmögliche Steigerungen aus – Ray inszeniert seine Filmwelten nicht realistisch, sondern larger than life. In diesen originären Film-Räumen mit ihrer eigenen Logik und Ästhetik fanden die Urheber der Nouvelle Vague den Wunsch, das Kino mit einer konsequenteren Filmsprache eigenständiger zu machen.

Wie kein Regisseur zuvor verstand es Alfred Hitchcock, sich selbst zur Marke zu machen. Der Brite steht für intelligente Kriminalfilme, die immer auch einen Dialog mit dem Publikum eingehen – Hitchcock spult seine Geschichten nicht einfach vor uns ab, sondern bezieht uns ständig mit ein, indem er unseren Voyeurismus kitzelt und mit seinem berühmten Suspense unser Antizipationsvermögen reizt.

Der ehemalige Kriminalreporter Samuel Fuller gab sich nie mit Zwischentönen zufrieden – für seine B-Movies wählte er grelle Themen und eine provokante Aufmachung. Fullers Filme treffen – auch dank ihrer rasanten Inszenierung – stets ins Schwarze; trotz kleiner Budgets entlockt der eigenwillige Regisseur seinem Publikum immer eine Reaktion und verkörpert das anarchische Ideal der Nouvelle Vague.

Die Kinogeschichte kennt viele Western-Regisseure, doch keinen wie John Ford. Unter Zuhilfenahme der typischen Motive und Figuren des Genres verhandelte der Filmemacher deutlich breitere Themen: amerikanische Ideale wie Freiheit, Moral oder Loyalität. Es handelt sich also nie „nur“ um Western, sondern um Genrefilme mit diskursiven Ebenen und klarer Handschrift.

Zwei Ufer, zwei Gruppierungen

Zwei Ufer, zwei Gruppierungen

Die Nouvelle Vague vermittelt auf den ersten Blick das Bild einer homogenen Strömung, doch dieser Eindruck trifft nicht zu. Die meisten Protagonisten der neuen Welle lassen sich einem von zwei verschiedenen Lagern mit durchaus unterschiedlichen Schwerpunkten zuordnen:

Die Clique der Cahiers du cinéma

Foto von Jean-Luc Godard

Die Clique der Filmzeitschrift Cahiers du cinéma wird gemeinhin als Mittelpunkt der Nouvelle Vague wahrgenommen und maßgeblich von Chefredakteur André Bazin beeinflusst, der zu den geistigen Vätern der Strömung zählt.

Bazins Ideen setzten einige Redakteure der Cahiers in die Praxis um – die Debütfilme von Jacques Rivette, Claude Chabrol, François Truffaut und Jean-Luc Godard brachten die Nouvelle Vague ins Rollen, wenige Jahre später begann auch der Kritiker Éric Rohmer seine Karriere als Regisseur.

Mit ihren Polemiken und Protesten machte die Clique der Cahiers die Nouvelle Vague bekannt, im weiteren Verlauf setzte jedoch bei vielen der „jungen Wilden“ eine Beruhigung ein und ihre Werke gingen zunehmend im Arthouse-Mainstream auf; lediglich Godard und Rivette experimentierten weiter und entfernten sich dabei zunehmend vom kommerziellen Kino.

Die Rive Gauche-Bewegung

Foto von Agnès Varda

Die zweite Gruppe der Nouvelle Vague bildet eine deutlich losere Gemeinschaft und wird unter Rive Gauche – „linkes Flussufer“, ein Verweis auf das Künstler- und Intellektuellenmilieu links der Seine – zusammengefasst.

Zu den Vertretern der Gruppe zählen Louis Malle, William Klein, Jacques Demy und Jean Eustache, die zwar ebenfalls an der Modernisierung des Kinos arbeiteten, dabei aber eigenständiger und oft auch radikaler vorgingen.

Filmemacher wie Alain Resnais, Agnès Varda, Chris Marker und Alain Robbe-Grillet wollten das Kino nicht nur verbessern, sondern grundsätzlich neu denken – mit experimenteller Filmsprache und der Abkehr vom Erzählkino. Aufgrund der weniger kommerziellen Ausrichtung erreichen viele Rive Gauche-Regisseure heute nicht mehr den Bekanntheitsgrad der Cahiers-Clique, ihre Arbeiten bilden jedoch eine spannende Seite der Nouvelle Vague ab.

Eine globale Inspiration –

nachfolgende Wellen

Eine globale Inspiration –

nachfolgende Wellen

Die Nouvelle Vague erzeugte ein weltweites Echo – ihre Innovationsfreude steckte eine ganze Generation von jungen Regisseuren an, während die Studiobosse den Trend mit niedrigen Budgets und hohen Gewinnchancen verbanden.

Es dauerte nicht lange, bis diese beiden Interessengruppen zusammenfanden und auch in anderen Ländern neue Wellen aufkamen, die ebenfalls sehr spannend sind:

Japanische Neue Welle

Filmszene aus Crazed Fruit

Obwohl die Japanische Neue Welle (Nūberu bāgu) innerhalb des Studiosystems entstand, übertrifft die Radikalität der Strömung die Nouvelle Vague sogar noch. Die gesellschaftlichen Umwälzungen der Nachkriegsära spiegelten sich in Filmen voller Tabubrüche wider und die inszenatorische Experimentierfreude der Regisseure führte zu oft furiosen, manchmal gar wahnwitzigen Werken.

New Hollywood

Filmszene aus Asphaltrennen

Die durch amerikanische Regisseure inspirierte Nouvelle Vague fand den Weg zurück über den Atlantik und beeinflusste nun ihrerseits die jungen Filmemacher in den Vereinigten Staaten. Diese erhielten die Chance, das US-Kino zu modernisieren, da die großen Studios so dem Zeitgeist der späten Sechziger Jahre folgen wollten. Dieses New Hollywood-Kino dekonstruierte etablierte Genres, setzte sich mit gesellschaftskritischen Themen auseinander und legte seine Werke deutlich künstlerischer an.

Neuer Deutscher Film

Filmszene aus Händler der vier Jahreszeiten

Auch in Deutschland formierten sich junge Regisseure, die unangepasste Filme drehten und dabei nach einer klaren Handschrift im Sinne der Autorentheorie der Nouvelle Vague strebten. Dabei ging es ihnen weniger um formale Experimente, sondern um den Widerspruch gegen das biedere, inhaltlich leere Kino der vorherigen Generation. Der Neue Deutsche Film forderte und förderte einen höheren Anspruch sowie einen stärkeren Zugriff auf gesellschaftliche Themen.

Tschechoslowakische Neue Welle

Filmszene aus Der Feuerwehrball

Für einige wenige Jahre bildete die Tschechoslowakei ein Kreativzentrum des Kinos: Als das sozialistische Regime die Zügel lockerte, ermöglichte es eine neue Kunstfreiheit. Darauf hatten die Filmemacher des Landes gewartet: Mitte der Sechziger Jahre drehten sie eine Reihe bemerkenswerter Werke mit oft heiterem Tonfall, in dem sich jedoch bittere Spitzen gegen die Politik und die Gesellschaft verbargen. Die Niederschlagung des Prager Frühlings beendete die blühende Strömung leider viel zu früh, doch ihre experimentierfreudigen Filme bleiben.

Die wichtigsten Filme der Nouvelle Vague

Die wichtigsten Filme der Nouvelle Vague

1958 – Die Enttäuschten (Claude Chabrol)
1958 – Die Liebenden (Louis Malle)
1958 – Fahrstuhl zum Schafott (Louis Malle)
1959 – Hiroshima mon amour (Alain Resnais)
1959 – Sie küssten und sie schlugen ihn (François Truffaut)
1960 – Außer Atem (Jean-Luc Godard)
1960 – Schießen Sie auf den Pianisten (François Truffaut)
1960 – Zazie (Louis Malle)
1961 – Letztes Jahr in Marienbad (Alain Resnais)
1961 – Paris gehört uns (Jacques Rivette)
1961 – Lola, das Mädchen aus dem Hafen (Jacques Demy)
1961 – Eine Frau ist eine Frau (Jean-Luc Godard)
1962 – Mittwoch zwischen 5 und 7 (Agnès Varda)
1962 – Die Geschichte der Nana S. (Jean-Luc Godard)
1962 – Jules und Jim (François Truffaut)
1963 – Das Irrlicht (Louis Malle)
1963 – Die Verachtung (Jean-Luc Godard)
1963 – Der kleine Soldat (Jean-Luc Godard)
1963 – Die Unsterbliche (Alain Robbe-Grillet)
1963 – Die Karabinieri (Jean-Luc Godard)
1964 – Eine verheiratete Frau (Jean-Luc Godard)

1964 – Die Außenseiterbande (Jean-Luc Godard)
1965 – Glück aus dem Blickwinkel des Mannes (Agnès Varda)
1965 – Elf Uhr nachts (Jean-Luc Godard)
1965 – Alphaville – Lemmy Caution gegen Alpha 60 (Jean-Luc Godard)
1966 – Trans-Europ-Express (Alain Robbe-Grillet)
1966 – Maskulin – Feminin (Jean-Luc Godard)
1966 – Made in USA (Jean-Luc Godard)
1967 – Weekend (Jean-Luc Godard)
1967 – Die Mädchen von Rochefort (Jacques Demy)
1967 – Die Sammlerin (Éric Rohmer)
1967 – Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß (Jean-Luc Godard)
1967 – Die Chinesin (Jean-Luc Godard)
1968 – Geraubte Küsse (François Truffaut)
1969 – Meine Nacht bei Maud (Éric Rohmer)
1968 – Die Braut trug schwarz (François Truffaut)
1969 – Die untreue Frau (Claude Chabrol)
1971 – Zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent (François Truffaut)
1972 – Die Liebe am Nachmittag (Éric Rohmer)
1973 – Die Mama und die Hure (Jean Eustache)
1974 – Céline und Julie fahren Boot (Jacques Rivette)

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